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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman
Autoren: Lenos Verlag
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D e la Mare trieb sie zum Wahnsinn. Er hatte mit seiner neuen Linken das ganze Parteiengefüge in die Luft gesprengt und damit für unberechenbare Verhältnisse gesorgt. Er hatte sie vor einem Millionenpublikum attackiert und als Person beschrieben, die als Paradebeispiel dienen könne für eine gelungene Integration. Sie sei eine überzeugte Kommunistin gewesen, zuständig für DDR-Propaganda, eine Kaderfrau des kommunistischen Systems also, aber dann habe sie sich geläutert und sei nun Chefin der grössten gesamtdeutschen Volkspartei und Kanzlerin überdies, Chapeau.
    Tage zuvor hatte die Kanzlerin bei einer Ansprache gesagt: »Als jemand mit ostdeutscher Prägung fällt es mir natürlich leichter, die Probleme der Menschen in den neuen Bundesländern von ihrem Ursprung her abzuleiten und also auch dann zu verstehen, wenn sich die Realität bekanntermassen täglich ändert.« Janz hatte ihr diesen unsäglichen Satz untergejubelt, der alte Trottel. Keine Rede für die Kanzlerin, die von ihm nicht abgesegnet werden musste.
    Aber darum ging es jetzt nicht. Filip Loderer schaute auf die Uhr. 16 Uhr. Das Redemanuskript für die Familienministerin – erledigt. Er mochte sie nicht, und sie kannte ihn nicht. Vielleicht hatte sie einmal seinen Namen gehört, aber Redenschreiber gab es viele im Bundespresseamt. »Die Mutter« nannten sie intern alle, weil sie bemerkenswert viele Kinder hatte.
    Einmal hatte er von der »Mutter« geträumt: Er lag im Krankenhaus, und sie war seine behandelnde Ärztin. Sie beugte sich über ihn und sagte: »Machen Sie sich keine Sorgen, das kriegen wir schon in den Griff.« Er sagte etwas und spürte, dass er zwar zu hören, aber nicht zu verstehen war. Und die »Mutter« sagte: »In vielen Fällen bleibt ein Gehirnschlag mittelfristig fast folgenlos.«
    Es fröstelte ihn, er setzte sich wieder an den Computer. Er wollte eine ganz andere Rede schreiben. Eine Ansprache, genauer gesagt, eine kurzfristig angesagte Fernsehansprache des deutschen Innenministersan das deutsche Volk. Und danach wäre alles anders. Ein warmes Gefühl erfüllte ihn. Es gab nicht viele Reden, die etwas bewirkt hatten in der Geschichte. Weil nichts zu sagen ist, in aller Regel. Weil nichts passiert ist, meistens. Und weil eine gute Rede gut vorbereitet sein muss. Und vorbereitet war er. Und wenn Innenminister Eisele diese Rede halten würde, dann hätte er etwas zu sagen. Weil vorher etwas passiert wäre. Etwas Unvorstellbares. Und alles würde anders sein in Deutschland nach dieser Rede, nach seiner Rede: »Die Kanzlerin, unsere Kanzlerin, die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, ist seit einer Woche spurlos verschwunden. Wir wissen nicht, was passiert ist. Wir wissen nicht, wo sie ist, es gibt kein Lebenszeichen von ihr. Wir haben keinerlei Anhaltspunkte für das, was geschehen ist …«
    Er würde noch viel arbeiten müssen an dieser Rede. Und weil seine Konzentration spürbar nachliess, loggte er sich ins Netz ein und surfte. Dabei kam es vor, dass er auf exotische Blogs stiess und sich dort anmeldete und dann mit Leuten stritt wie jetzt mit diesem Hartz4, der bei uni-protokolle.com gefragt hatte: »Hi, Leute, hat jemand von euch Ahnung, was ein Fetisch ist und wie ich so etwas vielleicht selber herstellen könnte?« Blogger Audio Slave hatte geantwortet: »Tut mir leid. Kenn nur den einen Begriff über Fetisch, und der hat nix mit Mobiliar zu tun.« Im Übrigen wandle er »auf den Schallwellen der wummernden Metallbässe«, und wer etwas wissen wolle, schlage nach bei Wikipedia. Seniorblogger Macabre gab sich patziger: »Sag mal, Hartz4, du hast nicht zufällig Secret of Mana gespielt und da den Fetischring gefunden?« Member Lisbeth wusste zwar gar nichts, wollte aber versöhnend einwirken: »Vielleicht hat Fetisch aber auch mehr Bedeutungen, es gibt ja auch mehrere Bedeutungen für Puff.« Unterschrieben hatte sie mit dem Gruss »Lisbeth lässt dich ruhig schlafen«.
    Neugierig geworden, schlug Loderer nach. Fetischismus sei die Überzeugung oder die Erfahrung, dass von bestimmten unbelebtenObjekten eine Kraft oder Macht ausgehe – mit Verweis auf religiösen und sexuellen Fetischismus, wobei es auch »die Verkehrung eines gesellschaftlichen Verhältnisses von Menschen in ein Verhältnis von Dingen« gebe.
    Das reichte ihm, und er schrieb in den Blog: »Lieber Hartz4, du bist ein Vollidiot. Weil du nicht Französisch kannst. Weil du sonst wüsstest, dass sich der Begriff Fetisch von fétiche ableitet
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