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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman
Autoren: Lenos Verlag
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sagte Loderer. »Der Beste. Er spielt in einer Fernsehserie.«
    »Und warum ist er der beste Arzt?«
    »Weil er den Menschen sagt, dass sie sterben.«
    »Das wissen wir auch ohne ihn, Kollege.«
    »Aber Dr. House sagt den Menschen, warum sie sterben. Warum zum Beispiel Sie sterben. Ich habe viel von ihm gelernt, Herr Bossdorf.«
    »Loderer, man weiss bei Ihnen nie so recht, ob man lachen oder sich vor Ihnen fürchten soll. Aber ehrlich gesagt: Manchmal machen Sie mir Angst. Sie brauchen eine Auszeit, Kollege. Sie sehen furchtbar aus, obwohl Sie doch jetzt Kaffee getrunken haben, und sogar mit Milch und Zucker drin. Oder besser noch: Suchen Sie sich doch einfach wieder eine Frau.«

    Der Briefkasten war vollgesteckt mit Flyern, die Loderer sofort entsorgte, mit Ausnahme der Lidl-Prospekte. Er blätterte sie durch, jede Woche. Am Dienstag gab es günstige Shorts, Badetücher und Sandalen, am Donnerstag ein feuerrotes Navigationssystem und Sticks, die angeblich unverwüstlich waren. Seine Frau war jeden Tag unterwegs gewesen, auf Schnäppchenjagd, und wenn er nach Hause kam, zeigte sie ihm ihre Beute. Jeans für zwei Euro, zweihundert Papierteller für 99 Cent, Nahrung. Sie hatten drei Kühlschränke, und weil das nicht reichte, hatte sie auch die Terrasse in ein Vorratslager umfunktioniert, und wenner abends draussen eine Zigarette rauchen und ein bisschen hin und her gehen wollte, musste er sich durch aufgestapelte Sixpacks drängeln und Pflanzen, die überall herumstanden.
    Nach ihrem Tod hatte er die Wohnung sofort verkauft und sich im gleichen Häuserblock ein Zweizimmerapartment gemietet. Die Terrasse war kleiner, aber unverstellt, genügend Platz also, wenn er eine Zigarette rauchen und dabei hin und her gehen wollte.
    Er hatte nie viel geredet zu Hause, und wie oft hatte sie deshalb mit ihm geschimpft. Aber dass er ihre Worte brauchte, das hatte sie gespürt, und manchmal sprach sie mit ihm so lange, bis seine steinharte Muskulatur sich löste und sein Kopf von allen Gedanken befreit wurde – und er hatte fast nur schwere Gedanken.
    »Du denkst zu viel, Filip. Du bist nicht da. Wo bist du, Mann?«
    »Auch der Kopf ist ein Ort, wo man sein kann«, sagte er, »obwohl, es ist nicht sehr bequem dort.«
    Es waren furchtbare Bilder, die ihn quälten und bedrohten. Ihre Diagnose war hoffnungslos. Vorsichtig legte sie sich zu ihm hin und streichelte seinen Kopf. Seine Haare schmerzten. Sie sagte seinen Namen. Wenn sie »Filip« sagte, dann spürte er, dass er gemeint war. Das spürte er nur bei ihr. Aber manchmal war seine Haut so angespannt, dass er ihren Fingern zuschaute, als ob sie einen fremden Körper berührten. Dann presste er die Augen zu.
    »Du siehst alles zu schwarz. Filip. Wir leben jetzt. Du und ich. Wir leben!«
    »Ja.« Wenn sie mit ihm sprach, dann hörte er nur zu, minutenlang, und manchmal sagte er »ja«. Aber je näher der Zeitpunkt kam, desto quälender wurden seine Gedanken.
    »Das Leben ist doch etwas Wunderbares«, sagte sie. »Du bist mein Mann. Du bist alles für mich. Du bist mein Leben. Und solange ich lebe, bist du da, mein Mann.«
    »Ich bin alt«, sagte er.
    »Deine Haut ist ganz jung.«
    Seine Haut log. Sie war straff. Aber dahinter bröckelten die Knochen. Die Haut umspannte nur seinen Zerfall. »Nichts geht mehr bei mir«, sagte er. »Ohne dich geht es nicht.«
    »Entspann dich.«
    »Ich bin so müde.«
    »Wir sind beide müde, Mann.«
    »Ja, Frau«, sagte er, und trotzdem stand er manchmal wieder auf. Weil er zu müde war, um zu schlafen. Und weil er warten wollte, bis sie eingeschlafen war. Dann legte er sich zu ihr und schaute in ihr Gesicht, in dieses wunderschöne Gesicht. Sie war sein Mensch. Und er war ihr Mensch. Und wer war er jetzt?

    Zeit, in Kneipen zu gehen, hatte Loderer nicht. Und Lust, in Discos zu gehen, hatte er schon Mitte zwanzig nie gehabt. In Bars fühlte er sich lächerlich, und wenn es schön war, wenn es heiss war, wenn sich die Leute draussen hinsetzten, in Parks, in Strassencafés, dann fühlte er sich völlig fehl am Platz. Ich passe nicht zu gutem Wetter, dachte er und setzte sich an den Computer, wie fast jede Nacht. leute.com: Er war zufällig auf diese Communityseite gestossen und nach ein paar Klicks hängengeblieben, obwohl es da offensichtlich nicht das gab, was er brauchte und suchte: Sex. Nie mehr wollte er sich binden, nie mehr Gefühle haben für eine Frau, nie mehr leiden, nie mehr verletzt und verlassen werden. Also suchte er Sex und
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