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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman
Autoren: Lenos Verlag
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annoncierte auf einschlägigen Sites. leute.com aber war eine Plattform für Männer und Frauen, die sich über ihre Haustiere unterhalten wollten, im Gästebuch Urlaubsgrüsse von wildfremden Menschen sammelten und von einer Administration beaufsichtigt wurden, die keinerlei Unanständigkeiten duldete. Entsprechend lange hatte er sich überlegt, welches Profil er sich geben sollte, um nicht sofort gelöscht zu werden. Letztlich entschied er sich für den Nickname Controller,und zu seiner Person notierte er: »Ich bin neugierig und gierig, geistreich und reich, und ich interessiere mich für Politik, Fussball und Sex.« Damit war er wohl an die äusserste Grenze dessen gegangen, was die Communitymanager noch dulden mochten, und tatsächlich meldete sich schon kurze Zeit nach Freischaltung seines Profils eine Frau, die ihm auf Anfrage auch sofort ein Foto schickte: halbgeöffnete, volle Lippen und ein Augenkontakt, der unmissverständlich war. Er schrieb ihr: »Bei dir könnte ich sofort auf einschlägige Gedanken kommen.«
    Ihre Antwort: »Na ja, Schlagseiten haben wir alle.«
    Er reagierte wie auf Knopfdruck: »Frauen versohle ich am liebsten den Hintern. Schickst du mir ein Foto von deinem Arsch?«
    »Bist du einer, der sich durchs Leben schlagen muss, oder hast du noch eine Hand frei?«, fragte sie ihn einen Tag später und fügte hinzu: »Wenn du noch eine Hand freihaben solltest, dann kannst du mir adieu winken. Denn einen Schläger brauch ich nicht.«
    Es gab auch hilflose Reaktionen auf seine – zugegebenermassen – nicht sehr niveauvolle Anzeige. Mehrere Damen diversen Alters wollten von ihm wissen, was er unter »grosszügig« verstehe und ob er »notgeil« sei. Falls ja, gebe es dafür entsprechende Orte, und leute.com sei kein solcher Ort. Und natürlich teilten ihm auch etliche Frauen mit, dass sie nicht käuflich seien und sein Profil zwar kein Beweis dafür sei, dass er reich sei, ganz sicher aber, dass er nicht geistreich sei. Andere Frauen, denen er kurze erste Botschaften zukommen liess, antworteten mit der Formel: »Ohne Foto keine Antwort.« Obwohl die Mehrheit der weiblichen leute.com selbst kein Bild ins Netz stellen mochte. Stattdessen sah er bei den Usern die immer gleichen Schattenbilder. Männliche Silhouetten, weibliche Silhouetten mit Nicknames und Profilen, die ihn fast ausnahmslos abschreckten. Es gab viele Reisefreudige, Naturverbundene, Abenteuerlustige und immer wieder Frauen, die festgestellt haben wollten, dass sie schon vergeben waren, dasssie gar nichts suchten oder jedenfalls nicht das, was er suchte. »Carpe diem« war ein sehr beliebtes Motto, er hatte sein Profil anders überschrieben: »Sex ist im Kopf – und darum suche ich einen intelligenten Kopf.« Aussichtslos schien es ihm nicht, gab es doch viele Frauen, die behaupteten: »Ich suche nicht, ich werde gefunden.«
    Und dann, nach einer langen Nacht, starrte er plötzlich wie hypnotisiert auf eine weibliche Silhouette. Ihr Name: Frau Male. »Lebenslustige Wassermannfrau sucht männliche oder weibliche Begleitung für die Kulturtage in Düsseldorf.«
    Er schrieb: »Liebe Wassermannfrau. Kultur interessiert mich überhaupt nicht. Aber Psychologen sagen, dass immer etwas fehlt. Was fehlt dir sonst noch, ausser Kultur?«
    Frau Male war online und antwortete sofort: »Hallo, was fehlt mir? Geduld und nette Menschen, die morgen Abend Lust haben, mit mir in Düsseldorf die Lange Nacht der Museen zu verbringen. Und was fehlt dir? Liebe Grüsse, Frau Male.«
    »Liebe Frau Male, ich bin kein netter Mensch. Und morgen bin ich nicht in Düsseldorf und übermorgen vermutlich auch nicht. Und lange Nächte verbringe ich nicht in Museen. Und vermutlich fehlt es mir an allem, was froh macht. Denn meistens verbringe ich meine langen Nächte auf einem Berliner Sofa, erschöpft und ideenlos. Was aber immerhin passt: Ungeduldig bin ich auch. Kennst du das Warten auf den nächsten Augenblick? Aber immer ist es so, dass du im nächsten Augenblick spürst, dass du den letzten verpasst hast. Im Übrigen fehlt mir jede Lockerheit im Augenblick. Und wohl auch im nächsten. Grüsse vom Controller.«
    Ihre Antwort überzeugte ihn überhaupt nicht. Schnell und oberflächlich hatte sie geschrieben: »Was erschöpft dich denn so, dass du nicht mehr lachst und auf der Couch rumliegen musst? Wo ist deine Lockerheit denn klebengeblieben? Oder bist du von Natur aus Pessimist? Deine Antwort würde mich interessieren.Ich glaube schon, dass ich das Warten
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