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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri
Autoren: Thilo P. Lassak
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mit einem einzigen Schlag!«, spie er ihr ins Gesicht.
    Â»Das kannst du nicht«, antwortete Animaya seelenruhig. »Der Inka fordert ein Schauspiel – und Tupac steht noch immer über dir, auch wenn du anderer Meinung bist.«
    Einer der Untertanen lachte auf. Zwei weitere kicherten.
    Kapnu Singa holte mit der Faust aus.
    Â»Lass das Mädchen reden!«, rief eine Frau. Wisya!
    Mit kleinen Schritten trat die alte Bäuerin aus der Menge und ging auf Kapnu Singa zu.
    Die Krieger, die sich im Volk aufgestellt hatten, blickten sich verunsichert an. Mussten sie einschreiten? Wo waren die Generäle, die sie sonst befehligten? Aus Angst, etwas falsch zu machen, hielten sie sicherheitshalber still.
    Â»Wer seine Stimme erhebt, der wird bestraft, wie es unsere Gesetze vorsehen«, schnaubte Kapnu Singa. »Und mit dir be ginne ich, du dummes Weibstück!« Mit einer Fingerbewegung feuerte er einen Blitz auf Wisya ab.
    Wisya tänzelte elegant zur Seite und hob die Hände. Ranken schossen aus dem Boden. Wie Schlangen ringelten sie sich an Kapnu Singas Beinen empor und wickelten sich um seinen Kopf.
    Mit einem Mal platzte die Haut der alten Bäuerin ab, als wäre sie ihr zu eng geworden. Und darunter kam eine deutlich jüngere Frau mit blassen Haaren und roten Augen zum Vorschein. Entschlossen richtete sie sich aus ihrer gebückten Haltung auf.
    In ihrem blütenweißen Kleid wirkte sie beinahe verletzlich und doch umgab sie eine ähnliche Aura wie Kapnu Singa. Nur musste sie dafür nicht Angst und Schrecken verbreiten.
    Â»Rede weiter, mein Kind!«, forderte Wisya Animaya auf. Sie sprach nicht laut und doch waren ihre Worte deutlich zu verstehen. »Ich sorge dafür, dass du Gehör finden wirst!«
    Animaya ließ ihren Blick von Wisya zu den vielen Anwesenden schweifen. Würden all die Menschen ihr glauben? Dann sah sie aus dem Augenwinkel, dass Natan ihr ermutigend zunickte.
    Â»Mein einziges Verbrechen ist, dass ich die Wahrheit gesucht habe!«, fuhr sie fort. »Im Tempel habe ich sie gefunden, und es ist eine andere als die Geschichten, die ihr kennt!«
    Pillpa sprang Animaya bei. »Tupac hat seinen eigenen Bruder umgebracht!«, rief sie in die Menge. »Machthungrig, wie er war, hat er die Kinder des alten Inka töten lassen. Seine Frau konnte nur ihr Baby retten. Sie selbst hat nicht überlebt.«
    Die Zuschauer murmelten. An den plötzlichen Tod von Tupacs Bruder konnten sich scheinbar viele noch gut erinnern.
    Kapnu Singa riss sich die Ranken vom Gesicht. »Wachen«, presste er hervor. »Schlagt den beiden Mädchen die Köpfe ab!«
    Mit dem Zeigefinger deutete er auf ein kleines Loch in der Erde. Die Maus, die sogleich herausgerannt kam, wuchs mit jedem Schritt, bis sie so groß wie ein Gürteltier war. Eifrig zernagte sie die Ranken, die Kapnu Singa festhielten.
    Vereinzelte Krieger kämpften sich bereits durch die Menge zu Animaya vor. Sie musste jetzt schnell reagieren.
    Â»Habt ihr nicht auch die Tierleichen im Fluss gesehen?«, fragte sie mit lauter Stimme. »Ist euch nicht auch übel, wenn ihr sein Wasser trinkt?«
    Von ein paar wenigen erntete sie Zustimmung, die meisten jedoch blickten stumm zu ihrem Oberbefehlshaber auf.
    Die Riesenmaus hatte inzwischen die letzte Ranke durchgebissen. Kapnu Singa jagte sie mit einem Tritt fort und riss die Arme in die Höhe. Über ihm brach ein Ast und landete direkt in seinen Händen. Während er ihn auf Wisya schleuderte, verwandelte sich das Holz in eine pechschwarze Schlange. Augenblicklich legte sich das Reptil um Wisyas Hals und züngelte sie an.
    Kapnu Singa war mit zwei Schritten bei Animaya und gab ihr eine schallende Ohrfeige. »Schluss jetzt!«
    Animaya spiegelte sich in seinen blanken Augen. Sie sah gut aus. Mutig und kein bisschen verunsichert. Der Mann vor ihr hatte die Macht, Stöcke in Schlangen zu verwandeln. Aber sie konnte eine Menschenmasse auf den richtigen Weg bringen, denn der Wunsch nach Freiheit war in jedem von ihnen angelegt.
    Â»Das Schicksal lässt sich nur auf eine Weise abwenden!«, brüllte nun Pillpa. »Tupac darf nicht länger Inka sein! Die Goldene Maske prophezeit …«
    Kapnu Singa formte seine Hand zur Klaue und hielt sie Pillpa entgegen. Pillpa begann zu röcheln und griff sich an den Hals.
    Â»â€¦   dass ein Lamaguafohlen mit zwei Köpfen geboren wird«, beendete Animaya hastig den
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