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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri
Autoren: Thilo P. Lassak
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durchzuckte Animaya ein gewaltiger Schmerz. Fast wären ihr die Knie weggesackt.
    Die Finger seiner linken Hand hatte er gespreizt, wie auf dem Festplatz, als er Pillpa durch die Luft geschleudert hatte. Animaya spürte, wie seine Kraft sie gefangen hielt. Es gab kein Entkommen.
    Â»Auf Tempelschändung steht die Höchststrafe. Die öffentliche Hinrichtung auf dem Festplatz.« Kapnu Singa grinste. »Aber vorher wollen wir noch ein bisschen Spaß mit dir haben …«
    Mit der Linken zog er den Kurzspeer eines Krokodilreiters aus seiner Lederscheide. Als wollte er diese Waffe zum ersten Mal testen, wog er sie in der Hand.
    Â»Tinku Chaki war ein Schwächling«, höhnte er. »Hat gejammert und geheult wie ein Baby, als ich ihn mit so einer Waffe bearbeitet habe. Milac hingegen hat nur gelächelt. Tot sind sie beide.«
    Kapnu Singa legte den Kopf in den Nacken und lachte dämonisch.
    Animaya spürte eine enorme Wut in sich aufsteigen. Was wirklich geschehen war vor zwei Jahren, hatte sie schon auf den gemeißelten Chroniken erkennen können. Es nun aber aus dem Mund des skrupellosen Mörders selbst zu hören, war etwas ganz anderes. Hass loderte in ihrem Herzen auf.
    Mit aller Macht versuchte Animaya, sich Kapnu Singas unsichtbarem Griff zu entwinden. Doch mit jedem Zucken ihrer Muskeln wurde dieser noch stärker.
    Auf ein Handzeichen Kapnu Singas hin zogen sich die Generäle zurück. Jetzt waren nur noch sie beide im Raum.
    Langsam hob Animaya vom Boden ab. Kapnu Singa entzog ihr die Luft, ließ sie hilflos zappeln. Flehentlich blickte sie zur Decke.
    Â»Helft mir!«, presste Animaya hervor und meinte damit alle Kräfte zwischen Himmel und Erde, die den Menschen schützend zur Seite stehen. »Helft mir, damit ich ihn zermalmen kann!«
    Sanft schlug etwas durch den Stoff ihres Kleides: das geschrumpfte Herz der Albina. Das brachte sie wieder zur Besinnung: Nein!, durchzuckte es sie. Hass war kein Gefühl, das sie beim Sterben spüren wollte. Nicht an Rache wollte sie denken, denn dann wäre sie gezwungen, als Albina rastlos durch den Wald zu streifen.
    Sie dachte an Tinku Chaki. Vor ihren müder werdenden Augen glaubte sie, den Kolibri schweben zu sehen. Liebe breitete sich in ihrem Körper aus. Liebe zu ihrem Vater, zu Pillpa, zu Wisya und Vinoc, zu dem Volk und seiner Stadt, zu dem Wald, dem Fluss, den Tieren und Pflanzen. Und vor allem die Liebe zu Perlenhaut, dem Mann, den sie erwählt hätte. Diese Liebe spülte jeden Hass fort.
    In diesem Augenblick spürte Animaya einen leichten Wind durch die Fugen hereinwehen. Ein Windchen nur, wie eine Seele, die nach langem Umherirren ihren Platz gefunden hatte. Es streifte ihren Körper, sodass sich die feinen Härchen auf ihren Armen und Beinen aufstellten.
    Und mit einem Mal fiel unten auf dem Boden Milacs Statue um. Die Figur des Generals, den Kapnu Singa in eine tödliche Falle gelockt hatte, kippte zur Seite und landete auf dem Fuß des Feindes.
    Ein, zwei Herzschläge vergingen. Dann verdrehte Kapnu Singa vor Schmerz die Augen und fasste sich reflexartig ans Bein.
    Animaya fiel aus zwei Mannshöhen in die Tiefe. Hart schlug sie auf, blieb benommen liegen. Kapnu Singa, von der zentnerschweren Figur auf seinem zerquetschten Fuß abgelenkt, beachtete sie nicht weiter.
    Jede hastige Bewegung vermeidend, kroch Animaya auf allen vieren rückwärts. Bevor sie im Kanal verschwand, wandte sie sich noch ein letztes Mal um.
    Â»Danke!«, hauchte sie Milac zu. Und sie glaubte, den Stein lächeln zu sehen. Die Statue war zu einem Wak’a geworden.
    Mit dem Kopf voran stürzte Animaya sich in den engen Abfluss und begann vorwärtszurobben. Es war kaum auszuhalten in dem Rohr. Der Rücken schmerzte ihr vom Sturz, Knie und Ellenbogen waren zerschunden, die Handgelenke von dem Versuch geschwollen, den Aufprall abzufangen.
    Weiter, weiter!
    Plötzlich begann das Wasser im Kanal zu steigen. Kapnu Singa musste es ihr hinterhergeschickt haben. Das Rohr füllte sich, bald würde sie nicht einmal mehr Luft holen können.
    In der Finsternis kämpfte sie sich nach unten, immer wieder panisch nach Luft schnappend. Endlich erreichte sie die Gabelung und glitt wie ein Fisch in das breitere Rohr. Nun gab es zwar mehr Platz und sie konnte wieder besser atmen, aber es war die Zeit, in der die Putzer die Gehege reinigten. Die Exkremente der vergangenen Nacht flossen an ihr
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