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Blutsauger

Blutsauger

Titel: Blutsauger
Autoren: M Bomm
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    Sand, so weit seine Augen blickten. Sand, nichts als Sand. Immer, wenn Elmar Brugger im knöcheltiefen Sand den Markierungspfosten folgte, fühlte er sich in die Sahara versetzt. Doch diese Wüste war weit entfernt, etwa 300 Kilometer weiter ostwärts, drüben auf dem afrikanischen Kontinent. Die Dünen, die den braun gebrannten Doktor der Medizin teilweise haushoch umgaben, galten hingegen als kleines Naturwunder. Hier, im Süden Gran Canarias, ging die kleine Sandwüste nahtlos in den traumhaften Strand über – gerade so, als gehöre beides zusammen. Als seien die Dünen nichts weiter als ein kilometerbreiter Strand.
    Brugger hielt seine Badeschuhe in der linken Hand und genoss die behagliche Wärme des weichen Sandes, in den seine bloßen Füße bei jedem Schritt versanken. Jetzt, Mitte Februar, labte er sich besonders an den wohltuenden Sonnenstrahlen. Bei seinem Abflug in Stuttgart hatte es vorgestern noch kräftig geschneit. Wie traumhaft war es doch, das mitteleuropäische Sudelwetter einfach hinter sich lassen und der Sonne entgegenfliegen zu können. Brugger hatte von seinem Fensterplatz aus freudig darauf gewartet, bis der Silbervogel endlich diese grau-weiße Masse durchstach, unter der das Land seit Monaten lag. Als helle Sonnenstrahlen durch die Wolkenschicht zuckten, war jener Moment erreicht, in dem die Tragfläche den Airliner aus der bedrückenden Tristheit des irdischen Daseins ins endlose Blau des Himmels hob.
    Brugger empfand es jedes Mal als Erlösung, wenn die Wolken wie ein erstarrtes Meer unter ihm blieben. Dann fühlte er sich so frei, als habe er all die Probleme, die ihn seit Monaten beschäftigten, einfach zurückgelassen, sie zugedeckt und dem Vergessen preisgegeben. Als fliege er einem neuen Morgen entgegen.
    Daran musste er denken, als er in den blauen Himmel hinaufsah, wo ein Flugzeug dünne Kondensstreifen hinterließ, die sich sofort auflösten. Wahrscheinlich verlief hier die Route nach Südamerika, dachte er, während seine Augen an den filigranen Wellenlinien hängen blieben, die der Wind in den Dünensand gezeichnet hatte.
    Brugger, 43 Jahre alt und Anästhesist an einer kleinen deutschen Klinik, war so tief in Gedanken versunken, dass er die wenigen Personen, die ihm auf dem sandigen Pfad entgegenkamen, gar nicht zur Kenntnis nahm. Er gab sich den Formen der Dünen hin, die mal steil aufragten, um wieder abzufallen oder mit mattgrünen Sträuchern bewachsen waren, die bei Sturm den Sand etwas zurückhalten sollten. Es gab Stellen, an denen der harte Untergrund vollständig freigeweht war und man besser in die Badeschuhe schlüpfte, um nicht mit den nackten Fußsohlen schmerzhaft die fest getrocknete Erdkruste zu spüren. Auch Brugger entschied sich dazu.
    Ein kurzes Stück führte der Pfad durch tief eingeschnittene Dünentäler, die sich wie ein Wadi durch die Sandlandschaft zogen. Vermutlich spülte hier die stürmische See das Wasser weit in die Sandberge hinein.
    Brugger kam an ein paar Männern vorbei, die ihre sonnengebräunten Körper textillos zur Schau stellten. Nacktheit war hier schon seit Langem zur Normalität geworden, ohne dass es zwischen Entblößten und Angezogenen zu Berührungsängsten kam. Bei manchen Menschen, so stellte er insgeheim fest, drängte die Begeisterung am textillosen Sonnenbaden die Ästhetik in den Hintergrund. Und das bezog sich nicht nur auf Männer, die an manchen Stellen offenbar bevorzugt in trauter Zweisamkeit beieinander lagen, sondern auch auf Frauen, die gleichermaßen ungehemmt hüllenlos unterwegs waren oder sich an den Sandhügeln in heißer Sonne die Haut verbrennen ließen. Brugger erblickte lieber die weibliche Freizügigkeit, sah meist dezent und ein bisschen verlegen zur Seite, wenn ein entblößter Vertreter des männlichen Geschlechts auf dem höchsten Sandhügel wie ein Feldherr Ausschau hielt.
Dafür aber bescherte ihm jeder Anblick unverhüllter weiblicher Schönheit ein prickelndes Gefühl, das mit dem Gedanken an die kommende Woche einherging. Denn dass er hierher geflogen war, sich von Frau und Familie eine Auszeit nahm, hatte mehr als geschäftliche Gründe. Auf geschickte Weise hatte er das Nützliche mit dem Lustvollen verbinden können. Und hier gab es im Februar kaum jemanden, der ihn kennen würde. Und wenn schon – dass er sich hier aufhielt, war kein Geheimnis.
    Er verdrängte den Gedanken an die aufregenden Tage, die ihm bevorstehen würden. Doch die nackte Haut, die ihn hier in den Dünen umgab, hatte
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