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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla
Autoren: Robert Wilson
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was tobte dann jetzt in seiner Brust? Er bohrte die Daumen in das Revers seines Jacketts und stand mit zusammengebissenen Zähnen da, als Felipe vom Teppich zu ihm aufblickte wie ein Fisch im Aquarium.
    »Ich habe ein Haar, Inspector Jefe«, sagte er. »30 Zentimeter.«
    »Farbe?«
    »Schwarz.«
    Falcón ging zum Schreibtisch und überprüfte das Foto der Familie Jiménez. Consuelo Jiménez stand, das blonde Haar aufgetürmt wie eine Hochzeitstorte, in einem bodenlangen Pelzmantel neben ihren drei Söhnen, die brav in die Kamera lächelten.
    »Eintüten«, sagte er und rief nach dem Médico Forense. Auf dem Foto stand Raúl Jiménez mit grinsendem Pferdegebiss neben seiner Frau und sah mit seinen Hängebacken aus wie ein Großvater neben seiner Tochter. Eine späte Ehe, Geld, Beziehungen. Falcón betrachtete Consuelo Jiménez’ strahlendes Gesicht.
    »Guter Teppich«, bemerkte Felipe. »Seide. Tausend Knoten pro Zentimeter. Schön eng geknüpft, sodass alles obendrauf liegen bliebt.«
    »Wie schwer war Raúl Jiménez Ihrer Ansicht nach?«, fragte Falcón den herbeigeeilten Médico Forense.
    »Wahrscheinlich zwischen 75 und 80 Kilo, aber wenn ich die eingefallene Brust und Hüfte sehe, denke ich, dass er auch schon mal 90 und mehr gewogen hat.«
    »Herzprobleme?«
    »Wenn seine Frau es nicht weiß, weiß es sein Arzt.«
    »Glauben Sie, eine Frau hätte ihn aus dem Ledersessel auf den Stuhl mit der hohen Rückenlehne hieven können?«
    »Eine Frau?«, fragte der Médico Forense. »Sie glauben, dass eine Frau ihm das angetan hat?«
    »Das war nicht die Frage, Doktor.«
    Der Médico Forense wurde steif, weil er sich Falcón gegenüber nun zum zweiten Mal dumm vorkam.
    »Ich habe ausgebildete Krankenschwestern gesehen, die schwerere Männer getragen haben. Lebendige Männer, natürlich, was leichter ist … aber ich wüsste nicht, warum das nicht möglich sein sollte.«
    Falcón wandte sich wortlos ab.
    »Bezüglich ausgebildeter Krankenschwestern sollten Sie Jorge fragen, Inspector Jefe«, sagte Felipe, den Hintern in die Höhe gereckt, als würde er den Teppich abschnüffeln.
    »Halt’s Maul«, sagte Jorge, der diesen Witz wohl schon öfter gehört hatte.
    »Soweit ich verstanden habe, ist es alles eine Frage der Hüften«, sagte Felipe, »und des Gegengewichts der Arschbacken.«
    »Das ist nur eine Theorie, Inspector Jefe«, sagte Jorge. »Ihm fehlt jede praktische Erfahrung.«
    »Woher willst du das wissen«, sagte Felipe, richtete sich auf den Knien auf und versetzte einem imaginären Unterleib ein paar Stöße. »Ich war auch mal jung.«
    »Da lief ja wohl zu deiner Zeit nicht viel«, sagte Jorge. »Die Weiber waren doch alle verschlossen wie Austern, oder?«
    »Die spanischen Mädchen schon«, meinte Felipe. »Aber ich stamme aus Alicante. Benidorm war gleich um die Ecke. Und all die englischen Mädchen in den 60ern und 70ern …«
    »Da träumst du wohl von, was?«
    »Ja, ich hatte immer sehr aufregende Träume.«
    Die beiden Beamten lachten. Falcón blickte auf sie herab, wie sie dort auf dem Boden herumkrochen wie Schweine, die nach Eicheln wühlten, im Kopf nur Fußball und Ficken und dann lange nichts. Er fand sie ein wenig abstoßend und wandte sich den Fotos an der Wand zu. Jorge wies mit dem Kopf auf Falcón und sagte stumm zu Felipe: Mariquita. Schwuchtel.
    Sie lachten erneut, doch Falcón ignorierte sie. Sein Blick wurde zum Rand der ausgestellten Fotos gezogen. Er wandte sich von der Mittelsektion mit den Prominenten ab und entdeckte einen Schnappschuss, auf dem Raúl Jiménez seine Arme um die Schultern zweier Männer gelegt hatte, die beide größer und kräftiger waren als er. Links neben ihm stand der Jefe Superior de la Policía de Sevilla, Comissario Firmin León, rechts neben ihm der leitende Staatsanwalt, Fiscal Jefe Juan Bellido. Falcón spürte einen fast körperlichen Druck auf den Schultern, den er mit einem Achselzucken abzuschütteln suchte.
    »Aha! Na also«, sagte Felipe. »Das sieht doch schon besser aus. Ein Schamhaar, Inspector Jefe. Schwarz.«
    Im selben Moment drehten sich alle drei Männer zum Fenster um, weil sie hinter dem Doppelglas gedämpfte Stimmen und das mechanische Geräusch einer Hebebühne gehört hatten. Auf der anderen Seite des Balkongeländers schwebten langsam zwei Männer in blauen Overalls ins Blickfeld, einer mit langem, schwarzen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haar, der andere mit kahl rasiertem Schädel und einem blauen Auge. Sie brüllten irgendetwas zu
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