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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla
Autoren: Robert Wilson
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gemeinsam essen zu gehen, und an das Klackern ihrer Absätze auf den Marmorfliesen. Er schüttelte den Kopf. Dafür war es noch zu früh.
    Er betrat die Feria de Abril durch das riesige, grell erleuchtete Tor des Haupteingangs und landete in einer surrealen Welt, in der alle schön und glücklich waren. Die Mädchen stolzierten in ihren figurbetonenden trajes de flamenca umher, das Haar geschmückt mit Blumen und Schildpattkämmen, junge Männer posierten in grauen Bolero-Jacken und flachkrempigen Hüten. Falcón ging staunend wie ein Kind unter den Laternen und Flaggen umher, vorbei an endlosen Reihen von Festzelten, wo gegessen, getanzt und Fino getrunken wurde. In der Luft hing der Duft unbeschwerter Fröhlichkeit – Musik, Essen und Tabakqualm.
    Er wanderte wie betäubt zwischen all den lächelnden und lachenden Menschen umher. Wie konnten da so viele so glücklich sein? In seiner kleinen Galaxie schien er das einzige menschliche Wesen mit dem Wissen um sein Elend zu sein, mit Erinnerungen und Schuld, Hoffnungslosigkeit und Angst. Er fragte sich, ob er je wieder aus dem Halbleben, das er geführt hatte, in ein ganzes Leben zurückfinden würde.
    Eine Salve klatschender Hände riss ihn zurück in die Fantasiewelt der Feria. Der Rhythmus der Sevillanas, die um ihn herum gesungen und getanzt wurden, umschmeichelte ihn, und als er an einem der kleineren casetas vorbeikam, hörte er, wie jemand seinen Namen rief.
    »Javier! He, Javier!«
    Eine kleine, pummelige Frau in einem weißen traje de flamenca mit großen roten Punkten schien ihn zu kennen. Sie tanzte unvermittelt anmutig ein paar Schritte auf ihn zu, wand die Arme und warf winkend die Hände in die Luft, als wollte sie ihm Mut machen.
    »Du erkennst mich nicht. Ich bin Encarnación. Willkommen, Fremder«, sagte sie. »Würde der Fremde am ersten Abend der Feria eine Sevillana mit mir tanzen?«
    Seine Haushälterin, die perfekte Fremde, die all das verkörperte, was in seinem Leben unkompliziert war, hatte endlich körperliche Gestalt angenommen. Er folgte ihr in die caseta. Sie bestand darauf, vor dem Tanz gemeinsam ein Glas Fino zu trinken. Zwei Mal nippte sie an ihrem Tio Pepe, während Javier seinen in einem Zug herunterkippte. Dann knallte er das Glas auf den Tresen, schlug die Hacken zusammen, und sie tanzten ihre erste Sevillana.
    Encarnación war sofort wie verwandelt. Die 65-jährige Frau wurde zu einer eleganten, glutvollen Schönheit, kühn und kokett, und sie tanzten vier oder fünf Sevillanas hintereinander. Danach bestellte er weiteren Fino, sie aßen einen Teller Paella und ein paar Calamares, und er erinnerte sich daran, wie gut dieses Essen schmeckte. Noch einmal tanzten sie. Und dann geschah es: Seine Qualen legten sich, sein Leiden verflog. Er vergaß alles und konzentrierte sich nur auf eins – die Sevillana. Er stürzte sich förmlich in den Tanz, und jede Schrittfolge brachte ihn näher zur Perfektion. Und als er begriff, dass er sie wiedergefunden hatte – Sevillas Antwort auf Leid und Not: la fiesta –, tanzte er seine Probleme aus dem Kopf durch den Körper in die Füße und stampfte sie in den Boden.

Danksagung
    Bevor ich anfangen konnte, dieses Buch zu schreiben, musste ich herausfinden, wie Polizei und Justiz in Spanien arbeiten. Deshalb habe ich eine Reihe von Menschen befragt, die alle sehr freundlich und hilfsbereit waren. Mein Dank gilt dem Magistrado Juez Decano de Sevilla, Andrés Palacios, los fiscales de Sevilla und dem Inspector Jefe del Grupo Homocidios de Sevilla, Simon Bernard Espinosa, der mir auch viel über seine Herangehensweise an Mordfälle erzählt hat. Die im Buch beschriebenen Charaktere mit den entsprechenden Diensträngen stellen in keiner Weise die realen Personen dar, genauso wenig wie die beruflichen Beziehungen zwischen den Figuren in irgendeiner Form typisch sind.
    Bedanken möchte ich mich auch bei Dr. Fernando Ortiz Blasco, der mir nicht nur mit meiner Hüfte geholfen, sondern auch viele interessante Informationen über Stierzucht und Stierkampf beigetragen hat.
    Was die Recherchen in Tanger betrifft, hatte ich das große Glück, dass Frances Beveridge mich mit Patrick Thursfield bekannt gemacht hat, dieser wiederum stellte mir Mercedes Guitta vor, die während des Zweiten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren in Tanger gelebt hat. Ihnen allen vielen Dank für ihre Hilfe.
    Meine Freundin Bindy North war so gütig, die psychologischen Dialoge mit ihrem professionellen Blick durchzusehen und zu
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