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Der Blinde von Sevilla

Der Blinde von Sevilla

Titel: Der Blinde von Sevilla
Autoren: Robert Wilson
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offene Tür, und ihr Mikrofon fing ein Stöhnen ein, das abgerissene, wimmernde Stöhnen eines Menschen, der furchtbare Qualen litt. Falcón wollte schlucken, doch sein Hals versagte den Dienst, weil sein Mund staubtrocken war.
    »Joder« , sagte Ramírez, um die Spannung zu brechen.
    Nun schwenkte die Kamera herum, und sie befanden sich in dem Zimmer. Falcón war so erschrocken, dass er beinahe glaubte, als Nächstes sich selbst und seine Kollegen vor dem Fernseher sitzen zu sehen. Stattdessen zoomte die Kamera auf den Bildschirm, auf dem das Bild zwar streifig wackelte, man aber dennoch die sehr plastische Aufnahme einer Frau erkennen konnte, die einen Mann masturbierte und fellationierte. Dessen nackter Hintern spannte sich rhythmisch an.
    Während Falcón, noch immer verwirrt darüber, dass die Geräusche so ganz andere Bilder in ihm wach gerufen hatten, auf den Bildschirm blinzelte, wurde die Kamera zu einer Totalen aufgezogen. Auf dem Perserteppich kniete Raúl Jiménez, den Hemdsaum über dem nackten Hintern, die Socken heruntergerutscht, die Hose zerknüllt auf dem Boden, und stierte auf das Videobild. Vor ihm kniete ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, deren unbeweglicher Kopf Falcón verriet, dass sie auf einen bestimmten Punkt starrte und sich an einen anderen Ort träumte, während sie die angemessen ermutigenden Laute von sich gab. Dann wandte sie den Kopf, und die Kamera schwenkte unkontrolliert aus dem Zimmer.
    Falcón war aufgesprungen und stieß gegen die Schreibtischkante.
    »Er war hier«, sagte er. »Er war … ich meine, er war die ganze Zeit hier.«
    Bei Falcóns Ausbruch fuhren Ramírez und Calderón auf ihren Stühlen hoch. Calderón strich sich sichtlich erschüttert durchs Haar und starrte auf die Tür, aus der die Kamera in den Raum geblickt hatte. Falcóns Verstand machte wilde Sprünge, sodass er nicht mehr zwischen Fantasiebildern und Realität unterscheiden konnte. Verzweifelt versuchte er, seine Vision abzuschütteln. Irgendjemand stand in der Tür. Falcón kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Er kannte diese Person. Die Zeit verlangsamte sich. Calderón durchquerte mit ausgestreckter Hand das Zimmer.
    »Señora Jiménez«, sagte er. »Juez Esteban Calderón, mein aufrichtiges Beileid.«
    Er stellte Ramírez und Falcón vor, und dann betrat Señora Jiménez mit angestrengter Würde den Raum, als würde sie über eine Leiche steigen.
    »Wir hatten Sie nicht so früh erwartet«, entschuldigte sich Calderón.
    »Es war nicht viel Verkehr«, sagte sie. »Habe ich Sie erschreckt, Inspector Jefe?«
    Falcón bemühte sich, jede Verwirrung aus seinen Gesichtszügen zu tilgen, und setzte eine undurchdringliche Miene auf.
    »Was haben Sie sich denn da angesehen?«, fragte sie, offensichtlich gewohnt, die Kontrolle über eine Situation zu übernehmen.
    Sie starrte auf den Bildschirm, Schnee und Rauschen.
    »Wir hatten Sie nicht erwartet …«, begann Calderón wieder.
    »Aber was war es denn, Señor Juez? Dies ist meine Wohnung. Ich wüsste gerne, was Sie sich auf meinem Fernseher angeschaut haben.«
    Während Calderón unter Druck gesetzt wurde, konnte Fálcon entspannt zusehen – und obwohl er sicher war, dass er die Señora nicht kannte, hatte er doch zumindest den Typ schon oft gesehen. Sie gehörte zu der Sorte Frau, die im Haus seines Vaters hätte aufkreuzen können, als der große Mann noch lebte, um ihm eins seiner späten Werke abzukaufen. Nicht die begehrten Stücke, die ihn berühmt gemacht hatten. Die waren längst an amerikanische Sammler und Museen auf der ganzen Welt gegangen. Diese Art Kunstliebhaberin war auf der Suche nach den bezahlbareren Bildern aus seines Vaters Zeit in Sevilla – Details von Gebäuden, eine Tür, eine Kirchenkuppel, ein Fenster, ein Balkon. Eine jener Frauen mit oder ohne betuchten Ehemann im Schlepptau, die eine Scheibe des alten Mannes abhaben wollte.
    »Wir haben uns ein Video angesehen, das in der Wohnung zurückgeblieben war«, sagte Calderón.
    »Nicht einen von Raúls …« Das kam mit dem perfekten Zögern, das den Zusatz »Pornofilmen« überflüssig machte. »Wir hatten wenig Geheimnisse voreinander … und ich habe zufällig die letzten paar Sekunden von dem mitbekommen, was Sie sich angesehen haben.«
    »Es war ein Video, Doña Consuelo«, sagte Falcón, »das der Mörder Ihres Mannes zurückgelassen hat. Wir werden die Ermittlung um den Tod Ihres Mannes leiten, und ich dachte, es wäre wichtig, dass wir uns den Film so bald
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