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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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entziehen.
    »Er ist nett«, sagt Zubieta.
    Weil ich nicht antworte, erklärt sich der Freund selbst.
    »Der Großvater deiner Tochter. Dein Schwiegervater. Der alte Herr deiner Ex.«
    »Katharina und ich waren nie zusammen«, sage ich meinen Standardsatz.
    »Für die Erzeugung einer Kreatur hat es offensichtlich gereicht.« Criatura, sagt er, ein eigenartiges Wort für ein Kind.
    »Vielleicht solltest du mal länger bei Armin wohnen. Das würde dir gut tun. Es würde dich entspannen.«
    Der Dunstschleier reißt ein Stück auf, an einem unter uns gelegenen Bergkamm erahnt man einen Kiefernhain und eine Straße, es ist immer noch dieselbe Welt, derselbe Raum.
    »Ich nütze ihn aus«, sage ich. »Ich komme nur, wenn ich seine Hilfe benötige.«
    »Du kannst mich an einer Bahnstation absetzen«, sagt der Freund. Er wirft einen Stein in den Nebel. »Du solltest nichts machen, was du falsch findest.«
    »Nein«, sage ich. »Es ist nur … es ist komisch, dass ich ausgerechnet hierher gekommen bin. Es ist unangemessen … anatopistisch … wenn du verstehst, was ich meine.«
    Ich bin mir sicher, dass sich Zubieta nicht an die Stelle im Roman erinnert, an der von dem Begriff die Rede ist.
    Aber er nickt.
     
    Plötzlich ist er da, der Großvater, der ausgestiegene Ex-Schwiegervater, unser Gastgeber. Zunächst nur eine Schablone, die den Umriss einer Person aus dem Dunst schneidet, dann auch als Gesicht mit einer Topografie von Nase, Augenhöhlen, Mund erkennbar. Er hat sich eine Jacke übergezogen.
    »Ganz schön frisch geworden«, sagt er. »So schnell kippt das Wetter hier selten.«
    »Das ist seine Schuld«, sagt Zubieta und deutet auf mich. »Er verbreitet depressive Stimmung. Selbst das Wetter kann sich ihm nicht entziehen.«
    »Ich finde gar nicht, dass das Wetter so schlecht ist«, meint Armin. »Dem Garten würde etwas Regen gut tun.«
    Wir steigen einen Bergweg hinauf. Armin will zu einem Kastanienhain, nachdem Zubieta und er sich am Morgen über Maronenpaste unterhalten haben, die der Freund in seiner Kindheit oft gegessen haben will. Ich habe mich gefragt, ob es in Argentinien überhaupt Esskastanien gibt.
    Wir kommen an verlassenen Häusern vorbei, von den einst hundert Hirtenfamilien, die früher die Sierra bewirtschaftet haben, sind heute nur noch eine Handvoll alte Bauern übrig.
    Zubieta fragt, ob in der Nähe jemand Zimmer vermietet.
    Armin ist überrascht. »Was wollt ihr mit einem Zimmer?«
    »Dir nicht auf die Nerven gehen«, sage ich.
    »Ich habe euch doch schon gesagt, dass ich mich über euren Besuch freue.«
    »Wir haben dich regelrecht überfallen.« Zubieta schwitzt. »Das ist unhöflich.«
    Armin bleibt stehen und dreht sich zu uns um. »Ruhe! Wir gehen jetzt Kastanien sammeln und dann machen wir süße Maronenpaste.«
    Zubieta lacht und stapft weiter.
    Es fällt nicht leicht, mit Armin Schritt zu halten. Er geht schnell und geübt – als sei er seit seiner Kindheit auf diesen Wegen unterwegs.
    Auf einem gegenüberliegenden Hang schreit ein Esel.
    »Was hast du eigentlich in Frankreich studiert?«, fragt Armin.
    »Bevor ich das Restaurant gemacht habe …?« Zubieta scheint von der Frage überrascht. »Theaterwissenschaften.«
    Ich weiß, dass das stimmt. Bevor Zubieta auf die andere Seite geflohen ist, hat er in X Theaterwissenschaften studiert.
     
    Im Kastanienhain ist der Boden aufgescharrt. Ein Rudel Wildschweine muss sich kurz vor uns über die Maronen hergemacht haben. Trotzdem füllt sich Armins Rucksack schnell. Wenn die Sonnenstrahlen in den Hain fallen, glänzen die poliert aussehenden Kastanienschalen warm im Mittagslicht. Zubieta steckt sich eine rohe Marone in den Mund und kaut auf ihr herum.
    »Schade, dass die einfach verkommen. Nur die Schweine haben was davon.«
    »Das war nicht immer so«, sagt Armin. »Der Hain ist eigentlich gepflanzt. Aber für die Alten liegt er zu weit weg. Außerdem gehen die Spanier nicht gern zu Fuß.«
    »Manche Spanier schon«, sagt Zubieta. »Die Basken zum Beispiel.«
    Irritiert blicke ich ihn an. Es ist das erste Mal, dass ich ihn Basken als Spanier bezeichnen höre.
    Und wieder lacht er.
    Armin steigt ins Gestrüpp, es geht steil den Hang hinunter. Ich überschlage, dass Katharinas Vater um die Siebzig sein muss. Andere Menschen werden in seinem Alter gebrechlich, manche sind sogar schon bettlägerig. Er hingegen wirkt, als hätte er sein Leben als Bergbauer erst noch vor sich.
    Ich warte, bis er sich etwas entfernt hat, und wende mich dann
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