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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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tatsächlich, so wie es die Werbung immer verspricht, rubinrot. Trotzdem gelingt es mir nicht, mich zu entspannen. Wieder geht in meinem Kopf alles durcheinander.
    Ich muss an die Passanten vom Nachmittag denken, die für mich wie Polizisten aussahen, an meinen Streit mit Zubieta, die Lügen, die ich Armin auftische, die Verlassenheit, die zur Angst wird, einer sich selbst verstärkenden Furcht, Hanna, die Sinnlosigkeit, die Unfähigkeit zur Nähe, den Ekel.
    Zubieta schenkt sich Wein nach und trinkt, als habe er etwas nachzuholen. Er stürzt den Alkohol regelrecht in sich hinein, aber anstatt ihn wie bisher zu ermahnen, frage ich nur, wie wir den anbrechenden Abend verbringen sollen. »Im Sommer haben wir immer Karten gespielt«, werfe ich in die Runde, aber die beiden anderen antworten nicht. Es ist sehr still im Raum, nur das Knacken des Kaminfeuers ist zu hören.
    Als wir den Essenstisch abräumen und die Lebensmittel in den Kühlschrank stellen, eines der wenigen Elektrogeräte in Armins solargespeistem Haushalt, fällt mir auf, dass Zubietas Gesicht schon wieder sehr blass ist, fast weiß. Ich schiebe es auf den Wein, gehe zurück an den Kamin und blättere eine alte Zeitschrift durch, die dort auf einem kleinen Glastisch liegt. Ein Stern, fünfzehn Jahre alt, eine Zeitreise.
     
    Gegen halb zehn, Dunkelheit und Stille lasten schwer auf der Mühle, gehen wir schlafen. Ich schalte die Nachttischlampe ein, und im Unterschied zum Sommer, als sich das Zimmer sofort mit Mücken füllte, sobald man ihnen eine Lichtquelle bot, kann man die Lampe jetzt auch tatsächlich benützen. Obwohl das Fenster einen Spalt offen steht, fliegen keine Insekten herein. Ich höre das Rauschen eines nah gelegenen Bachs, es erzeugt eine eigenartige Monotonie im Raum. Das Lesen fällt mir schwer. Immer wieder scheitere ich am selben Absatz.
    Erst nach einer Weile merke ich, dass sich Zubieta auf seiner Matratze hin und her wälzt.
    »Was ist?«, frage ich, eigentlich teilnahmslos.
    »Die Gelenke … sie stechen.«
    Ich lege das Buch zur Seite, schlecht gelaunt. Er hat getrunken, sich nicht geschont. Jetzt muss er die Zeche dafür zahlen. »Du passt nicht auf dich auf.«
    »Das hat nichts mit Alkohol zu tun …«, behauptet er, »die Anfälle kommen so oder so …«
    Ich lösche das Licht, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. Er ist alt genug, um zu wissen, was er tut. Dann lehne ich mich zurück, strecke Arme und Beine vom Körper. Die Bettdecke fühlt sich kühl und klamm an, riecht ein wenig nach moderndem Laub.
    Diesmal ist es Zubieta, der keine Ruhe gibt. Offensichtlich über die Heftigkeit des Fieberschubs erschrocken, fragt er, ob ich Wasser mit ins Zimmer gebracht habe.
    »Hast du Durst?«, erwidere ich. Die Frage ist überflüssig, vielleicht sogar boshaft.
    Er nickt.
    Wieder geht mir durch den Kopf, wie sehr ich es hasse, mich um andere zu kümmern, für Menschen, die mir nah sind, seltsamerweise besonders für Menschen, die mir nah sind, Verantwortung zu tragen. Als ich in die Schuhe schlüpfe, fällt mir zum ersten Mal die Verbindung auf zwischen diesem Gefühl und dem, was ich nach dem Ozon-Film vor drei Monaten auf dem Heimweg vom Kino zu Rabbee gesagt habe. Dass die Angst in dem Maß zunimmt, wie sich die Kontrolle ausbreitet und jede Handlung im Leben eine Funktion zu erfüllen beginnt. Krankheiten tun das nämlich nicht – sie sind nutzlos, sie stören, sie durchbrechen die Ordnung.
    »Brauchst du noch was anderes?«, frage ich, um einen neutralen Ton bemüht.
    Zubieta antwortet nicht.
    Mit der Taschenlampe in der Hand steige ich in die Wohnküche hinunter. Das Holz knarrt, vorsichtig setze ich die Füße voreinander, versuche, Armin nicht zu wecken. In der Dunkelheit tue ich mir schwer, den Fieber senkenden Tee zu finden, den Katharinas Vater uns am Morgen herausgesucht hat. Ein muffiger, nach feuchten Socken riechender Tee. Ich stelle Wasser auf den Herd und drehe die Gasflasche auf, die blauen Flammen werfen ein schimmerndes Licht durch den Raum. Dann setze ich mich an den Bauerntisch.
     
    Plötzlich ist ein Geräusch zu hören, ein Knacken, als würde draußen jemand um die Mühle streifen. Sofort zucke ich zusammen, mir fallen die Passanten vom Nachmittag ein. Ihr Spaziergang durch ein Tal, in das sich nur selten Besucher verirren, ihre Frage, ihre musternden Blicke. Ich spitze die Ohren, versuche neben dem Röcheln der Flamme etwas zu identifizieren. Mir schießt durch den Kopf, dass es jetzt so weit ist, dass da
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