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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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davonzukommen, unberührt von den Ereignissen zu bleiben, nach einer Weile ungeschoren wieder heimfahren zu können. Doch die Verfolger erreichten schnell das Haus, drückten zielstrebig die klapprige Aluminiumtür auf und kamen hinter uns die Treppe herauf – auf der Suche nach ein paar Freunden, die zufällig, nicht unparteiisch, also folgerichtig, zu Beteiligten des Abends geworden waren. In der Kleinstadt kannten wir niemanden, wir waren Fremde und insofern hilflos, der Situation ausgeliefert. Umso überraschter waren wir, als plötzlich, die Verfolger waren mittlerweile nur noch fünf halbe Treppen von uns entfernt, eine Wohnungstür aufging und uns ein altes Ehepaar, beide um die Siebzig, wortlos zu sich hineinzog. Sie schoben uns in ein abgedunkeltes Zimmer, das zur Straße hinausging, und wir hielten den Atem an, um zu hören, ob die Verfolger auch in die Wohnung eindringen würden. Das Geräusch der Stiefel auf Treppengranit setzte aus, für einen Moment herrschte Unklarheit, die Männer draußen vor der Wohnungstür diskutierten wohl, was sie machen sollten, waren sich offensichtlich nicht gewiss, wohin wir verschwunden waren, tauschten erregt Meinungen aus und zogen dann unverrichteter Dinge wieder ab. Als Antonio und ich uns im Zimmer umschauten, immer noch stumm, immer noch mit zu schnellem Puls, entdeckten wir auf einem hässlichen Einbauschrank zwischen mittelmäßigen Buchtiteln und kitschigen Vasen – der Raum sah aus wie das Jugendzimmer eines vor langer Zeit ausgezogenen Sohnes – das Foto eines vielleicht 27 Jahre alten Mannes, der sich vor einer Mauer hatte abbilden lassen, einer kahlen, hohen Betonmauer. Der Zusammenhang war eindeutig: Der Sohn saß im Gefängnis, viele Hundert Kilometer entfernt, zu vielen Dutzend Jahren Haft verurteilt, und die Alten gehörten zu denjenigen, die regelmäßig, mindestens einmal im Monat, ein Wochenende im Bus, Zug oder Auto verbrachten, um ihre Kinder vierzig Minuten zu sprechen.
    Die Frau, sie trug zwei Perlen als Ohrringe, machte uns, nachdem die Gefahr vorbei war, einen Kaffee, ließ uns am Küchentisch Platz nehmen und bot uns an, die Nacht bei ihnen in der Wohnung zu verbringen. Als wir antworteten, dass wir lieber auf die Straße zurück und uns der Auseinandersetzung mit der Polizei stellen wollten, weil wir zu zufälligen, aber nicht unparteiischen Beteiligten des Abends und seiner Ereignisse geworden seien, suchte sie Tücher für uns aus dem Schrank und tränkte diese in Wasser, weil, wie sie betonte, feuchter Stoff gegen Tränengas hilft.
    Ich war sehr gerührt, als wir, mit den bestickten Familientaschentüchern vor dem Mund, in der Tür standen und uns von der Alten mit Wangenküssen verabschiedeten, denn unabhängig davon, was auf der Straße geschah und weswegen ihr Sohn im Gefängnis saß, ob es irgendeinen Sinn machte, was er oder wir dachten, ob es unvermeidlich war oder ein Verbrechen, für etwas Emanzipatorisches stand, wie wir glaubten, oder den nationalen Fanatismus repräsentierte, wie Leute wie Salvatore behaupten und in den Zeitungen zu lesen ist, stellte die Begegnung mit den Alten einen dieser seltenen Momente dar, in denen man spürt, wirklich spürt, nicht allein zu sein.
    Dass es andere Menschen gibt. Sie wirklich da sind, wenn man sie braucht.
     
    Der letzte Tag bei Armin verläuft entspannt. Zubieta springt im Haus herum, als wäre er nie krank gewesen, und lässt sich von Katharinas Vater den Mechanismus der alten Mühle erklären. Ich setze mich in den Garten und schaue mir Fotos vom Sommer an: Katharina, die mit Freundinnen vor leeren Weinflaschen sitzt und triumphierend eine Zigarette in die Luft reckt, Armin, der sein Kräuterbeet pflegt, Rabbee und ich, wie wir neben einer großen aufblasbaren Ente am Strand liegen und unsere weißen Rücken in die Sonne recken. Und Hanna: Auf den meisten Bildern wirkt sie ganz auf sich selbst und ihre Eindrücke konzentriert, ein Mensch, dessen Wünsche noch permanent die Richtung ändern können.
    Wir schlafen ein letztes Mal in der gekalkten Kammer und brechen dann auf, um das letzte Stück Richtung Süden zu fahren. Armin, drückt uns zum Abschied einen Korb mit Lebensmitteln in die Hand, die Gläser mit Maronenpaste, die er nach dem Rezept des Freundes gekocht hat, zwei Laibe selbstgebackenes Brot.
    Und wieder rollt der Wagen knirschend über den Kies.
    Zubieta, der endlich gesund zu sein scheint, seit 36 Stunden kein Fieber mehr hatte, lotst mich Richtung Córdoba, dann weiter
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