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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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draußen das Kommando lauert, das Zubieta holen soll, Helikopter, Jeeps, Beamte in Spezialanzügen und mit Helmen, Schnellfeuerwaffen, spanische Polizei. Langsam stehe ich auf, schleiche zum Fenster, lausche in die Nacht, halte die Luft an. Aber auch draußen ist nichts mehr zu hören, abgesehen vom rauschenden Bach, dem monotonen, grauen Flirren.
    Ich weiß, dass ich mich falsch verhalte. Dass sie, wenn sie mich so sehen, mich durch ihre Nachtsichtgeräte deutlich im Fensterrahmen erkennen und mit einem einzigen Schuss gezielt ausschalten können. Das Fenster ist der schlechteste Ort, an dem ich mich aufhalten kann. Trotzdem bleibe ich stehen.
    Schließlich knackt es erneut. Doch diesmal glaube ich, ein Tier zu erkennen, eine Katze, einen Fuchs, einen Hund, der durchs Gestrüpp streift, hole tief Luft und sinke mit weichen Knien auf den Hocker, der neben dem Kühlschrank steht.
    Lange, denke ich, werde ich dem Druck nicht mehr standhalten können.
    Diese Fahrt muss endlich ein Ende nehmen.
    Regungslos, erschöpft sitze ich da. Stehe erst, als das Wasser kocht, wieder auf, um den Tee aufzugießen. Mit der Thermoskanne in der Hand kehre ich nach oben zurück. Beim Betreten des Zimmers lache ich auf.
    »Wie machst du das bloß?«, frage ich Zubieta »Wie hältst du diese Anspannung aus …? Ich bin schon von den paar Tagen Fahrt völlig erledigt. Wir kannst du nur seit Jahren so leben?«
    Aber der Freund antwortet nicht. Er liegt auf dem Bett und ächzt; krümmt sich, hat Arme und Beine an den Körper gezogen.
     
    Ich flöße ihm Tee ein, den er nicht richtig schlucken kann, er atmet flach und zu schnell. Ich tränke einen Lappen mit Wasser und breite ihn auf seiner Stirn aus. Wieder geht mir durch den Kopf, woran ich schon am Vortag ständig gedacht habe: Warum ich mich auf diese Fahrt eingelassen habe, Montserrats Bruder gegenüber auf dem Bauernhof meinen Mund nicht halten konnte, dem Mann mit dem Leguanhals eine Zusage gegeben habe, Zubieta angeboten habe, ihn noch ein zweites Mal zu fahren. Es wäre besser gewesen, ich hätte es nicht gemacht – für Zubieta und mich. Für unsere Freundschaft.
    Weil ich das Gefühl habe, nichts weiter für den Kranken tun zu können, lege ich mich zurück ins Bett, verschränke die Arme unter dem Kopf und versuche zu schlafen.
    Zu vergessen, in Gleichgültigkeit zu versinken.
    Doch meine Erschöpfung ist, wie ich schnell merke, keine Müdigkeit, sie ist grundsätzlicher. Und dann habe ich das Gefühl, dass etwas in Bewegung gerät, wie bei einem Erdrutsch nach und nach abzurutschen beginnt, mir unter den Füßen wegbricht und dann auch mich mit hinunterreißt, in einen Abgrund.
     
    Am Anfang halte ich es für Unruhe, einen normalen Ausdruck von Sorge, weil sich Zubietas Zustand einfach nicht bessert, stehe auf, mache die Nachttischlampe an und spreche den Freund an, der nicht reagiert, reibe ihm mit dem feuchten Lappen über die Stirn. Weil sein Körper zu glühen, lebensbedrohlich heiß zu sein scheint, beschließe ich, ein Thermometer und das Fieber senkende Mittel zu suchen, das wir am Vortag gekauft haben, steige also erneut die knarrende Treppe in die Wohnküche hinunter, ziehe erst das Medikament aus meiner Reisetasche, die neben dem Bauerntisch steht, und mache mich dann auf den Weg ins Bad, das immer ein wenig nach Pilz und Feuchtigkeit, immer ein wenig nach chlorhaltigen Putzmitteln riecht. Am Morgen habe ich gesehen, dass Armin hier seinen Erste-Hilfe-Kasten aufbewahrt, also reiße ich alle Schubladen auf, durchstöbere Tüten und Fächer, finde nach ein paar Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, wirklich die Metallkiste und darin das Thermometer, das zerbrechlich und alt aussieht, ein Modell aus Glas, in seinem Inneren sieht man die zähe, silberne, giftige Quecksilbersäule. Hektisch stecke ich das Thermometer in die Hemdtasche und laufe durch die Wohnküche die Treppe hinauf zurück zu Zubieta, der mittlerweile völlig weggetreten ist, löse das Medikament in einem Glas Wasser auf und flöße ihm die Lösung umständlich ein. Dann schiebe ich ihm das Fieberthermometer unter die Achseln – nicht in den Mund, weil ich Angst habe, dass er es zerbeißen könnte – und beobachte, wie sich das Metall ausdehnt, die Markierung von 39, 40, 41 Grad erreicht, was bedeutet, dass seine reale Körpertemperatur noch etwas darüber liegt, und begreife, ohne genau zu wissen, ab wann Fieber lebensbedrohlich wird, dass er wirklich an diesem Temperaturanstieg sterben, von
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