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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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stand. Zu diesem Zeitpunkt im August versteckte sich Zubieta in einem Haus im südfranzösischen Bergland.
    »Ich bin schon ganz aufgeregt«, behaupte ich. »Das letzte Mal, dass ich Brot gebacken habe, ist mindestens zehn Jahre her.«
    Zubieta blickt auf den Küchentisch, sieht das ausgebreitete Bild, sein Gesicht in der Zeitung und lächelt verschmitzt. Als hätte er nichts zu befürchten.
    Ich ärgere mich über diese Lässigkeit … Nachlässigkeit.
    »Du musst mal richtig ausspannen«, sagt Armin, es klingt nicht unfreundlich, »du bist ein bisschen überdreht. Das ist mir schon aufgefallen, als ihr im Sommer hier wart.«
    Ich frage mich, was Zubieta an der Situation witzig findet. Wenn Armin in ihm den Terroristen erkennt, wird er uns rausschmeißen. Vielleicht wird er darauf verzichten, die Polizei zu rufen, aber bleiben werden wir nicht können. Wer Gemeinderäte hinrichtet, darf auf Solidarität nicht hoffen. Ich überlasse Armin den Platz am Ofen und stelle mich an die mit Zeitungspapier ausgeschlagene Tischplatte.
    Wobei sich die Frage stellt, unter welchen Voraussetzungen überhaupt noch auf Solidarität gehofft werden darf. Leuten, die nachts mit dem Schlauchboot über die Meerenge übersetzen, illegalen Einwanderern würde Armin mit Sicherheit Unterschlupf gewähren. Doch würde er das auch tun, wenn er dafür sechs Jahre Haft riskierte? Was unterbindet die Solidarität? Die unmoralische Tat, die man ablehnt, oder die Strafe?
    Ich nehme meine Kaffeetasse und stelle sie auf die El Mundo. Armin und Zubieta sprechen über die Bergwanderungen, die sie in Frankreich gemacht haben.
    Im Ofen knackt die Glut.
    Als Armin die Brote mit dem Backholz kurz vom Blech anhebt, schütte ich Kaffee über die Seite mit Zubietas Foto und tue überrascht.
    »Sie ist nass geworden.«
    »Das trocknet«, sagt Zubieta, der mich gesehen hat.
    »Wir haben genug Zeitung«, stellt Armin fest.
    Er muss meine Beschäftigung mit der erst zu schmutzigen, dann zu feuchten Zeitung für eine besondere Form urbaner Hyperaktivität halten.
    Ich knülle das Blatt zusammen und werfe es in die Ofenglut.
    Für einen Moment bin ich erleichtert – als wäre die Gefahr gebannt. Und zum ersten Mal wird mir bewusst, wie gut es ist, dass es in diesem Haus weder Strom noch einen Fernseher und damit auch keine Fahndungsmeldungen gibt.
     
    Am Hang neben der Mühle setzen wir uns ins Gras und warten auf Armin, der mit uns spazieren gehen und uns die Umgebung zeigen will. Dunstschwaden treiben den Hang hinauf, hüllen die Bäume ein. Wassertropfen kondensieren auf den Kleidern, schimmern weißlich auf dem Textil. So schnell kann der Herbst anbrechen, denke ich, so schnell wechseln die Jahreszeiten in den Bergen. Zum ersten Mal an diesem Tag ist mir kalt.
    Zubieta scheint es genauso zu gehen. Er zieht die Arme an den Körper.
    »Du solltest dir was anziehen«, sage ich.
    »Alles bestens.«
    »Ich hole dir einen Pulli. Nicht dass du sofort deinen nächsten Anfall bekommst.«
    »Ist wirklich nicht nötig.«
    Der Dunst schließt uns ein, die Welt vergeht unwirklich. Es ist, als wären wir plötzlich allein, als gäbe es keine Welt mehr außerhalb dieser Nebelschwade. Und ich frage mich, ob es nicht das reine Glück wäre, dauerhaft hinter einem solchen Schleier zu verschwinden, sich an einem Ort wiederzufinden, der wie eine Blase vom Rest der Welt abgetrennt ist. Einer aus der Welt geborenen neuen Welt. Sarrionandia schreibt in seinem Roman von Anatopismen, von Orten und Verhaltensweisen, die aus dem sie umgebenden Raum herausfallen, so wie ein Anachronismus aus der ihn umgebenden Zeit herausfallen kann. Wenn man davon spricht, dass sich etwas unraumgemäß verhält, eine Person, Gruppe, Erscheinung, dann klingt das nach etwas Fehlerhaftem, Unangemessenem. Es kann sich aber auch um eine Taktik handeln, eine Ausweichbewegung. In Sarrionandias Roman geht es um einen Mann, einen Arzt, der nach der Niederlage im Bürgerkrieg nach Südamerika flieht und mit seiner Familie sechzig Jahre lang in einem hermetischen Raum lebt, in dem die Sprache von Zuhause gesprochen wird und man auch sonst so tut, als habe es die Vertreibung nicht gegeben. Indem er einen unraumgemäßen Raum errichtet, entzieht er sich der Gewalt, die ihm angetan worden ist. Das Exil, der Anatopismus und der Wahnsinn haben in diesem Sinne etwas gemeinsam: Es sind Taktiken, um etwas zu ertragen, Fluchtmanöver. Wer keine Perspektive besitzt, kann nicht strategisch handeln. Er kann sich nur noch
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