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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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einkaufen fahren? Oder gibt’s etwas, das wir im Haus tun könnten?«
    Keine 24 Stunden ist es her, dass ich mich von Zubieta so missbraucht gefühlt habe wie ich jetzt selbst Armin instrumentalisiere. Ich frage mich, wo einen dieses Doppelleben hinführt. In welche Abgründe der Unaufrichtigkeit. Oder ist es nicht genau anders herum: Geht mit den Lügen eine extreme Aufrichtigkeit einher?
    Fühlen sie sich abends schuldig oder nicht?
    »Ich war erst gestern auf dem Markt«, sagt Armin. »Es sei denn, ihr wollt was Besonderes … Weißbrot zum Beispiel … ich mache mein Brot selbst.« Er wendet sich Zubieta zu. »Für manche Spanier ist das gewöhnungsbedürftig.«
    »Du backst?« Zubieta ist in dieser Hinsicht wie Rabbee – er findet sofort einen Zugang zu den Leuten. »Ich habe in Südamerika auch immer Brot gemacht. Die Südamerikaner …« Er stockt, blickt kurz in die Runde. Aber Katharinas Vater ist nicht weiter aufgefallen, dass Zubieta von den Südamerikanern gesprochen hat. Armin zählt gedankenversunken die Kaubewegungen seit dem letzten Biss.
    »Die eingesessenen Südamerikaner«, korrigiert sich Zubieta, »können kein gutes Brot machen. Viele Einwanderer aus Europa haben deshalb selbst gebacken. Ich habe es von meiner Großmutter gelernt. Brot von Zuhause. Richtiges Brot zu backen ist genauso wichtig …«
    »… wie zu kämpfen«, falle ich Zubieta ins Wort.
    Er grinst. Der Satz ist ein Zitat aus Sarrionandias Roman.
    In diesem Doppelleben vermischt sich alles auf undurchsichtige Weise: Ein Freund, ein realer Mensch, der für mich einmal die Comic-Figur Corto Maltes abgelöst hat, wählt, weil er keine eigene Geschichte mehr besitzen darf, zu einem Namenlosen geworden ist, izen gabea, der sich seine Biografie zurechtlügen muss, als Vergangenheit ausgerechnet die einer erzählten Person – aus dem Roman eines Schriftstellers, den er, der reale Mann, aus dem Gefängnis befreit hat. Wie man sich erzählt.
    »Zu kämpfen?«, wiederholt Armin.
    »Es ist ein Romanzitat«, erkläre ich.
    »Wir haben uns gestern im Auto darüber unterhalten«, behauptet Zubieta. »Man muss die Welt verändern«, er zieht die Augenbrauen hoch, »aber man muss auch Brot backen können …«
    »Und Kinderkriegen und Apfelbäume pflanzen«, füge ich hinzu.
    »Oder Weinreben«, ergänzt Zubieta. Ich weiß nicht, warum er über diese Sachen redet.
    »Du solltest besser Kamille pflanzen. Bis es dir besser geht.«
    »Die kleinen Dinge im Leben sollte man nicht unterschätzen, die kleinen Dinge sind das Wichtigste. Die einzelnen glücklichen Momente …« Zubieta wendet sich Armin zu. »Aber Alex sieht das anders.«
    »Alex ist ja auch Wissenschaftler.« Katharinas Vater hat zwanzig Mal gekaut, schluckt den letzten Biss herunter und spült mit einer Tasse grünem Tee nach. »Da hat man oft eher das Große im Blick. Das Abstrakte.«
    »Aber er liebt Literatur.«
    »Ach ja?«, fragt Armin. »Wusste ich gar nicht. Ich sehe ihn immer nur theoretische Aufsätze lesen.«
    »Er begeistert sich für abseitige Romane. Und für ein gutes Buch ist er bereit, die unglaublichsten Dinge zu tun.«
    Zubieta lacht, ich stehe auf, ohne auf die Bemerkung einzugehen, und trete in den Garten hinaus.
    Dort, unter einem Pfirsichbaum, habe ich vor zwei Monaten mit Hanna und Rabbee immer die Siesta verbracht.
     
    Ich streune ums Haus herum.
    Wenn es regnet, wird der Staub neben der Mühle zu Schlamm. Dann verwandelt sich die Erdpiste, die auf die Anhöhe hinaufführt, in einen reißenden Fluss, denn der Weg ist eigentlich ein Bachbett, eine kleine Schlucht, die dreimal im Jahr planiert werden muss, um befahrbar zu sein.
    Und so kann man an Regentagen die Mühle weder erreichen noch verlassen. Sie wird zum abgelegensten Ort der Welt. Zu einer Eremitage.
    Vielleicht sollte ich es einmal auf diese Weise versuchen. An einem abgeschiedenen Ort, an dem ich nicht entkommen kann – mir und den anderen.
    Doch am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen.
     
    Ich spaziere über die anliegenden Wiesen. Immer noch blüht der eine oder andere Strauch. Es scheint hier keinen grauen, trostlosen Herbst zu geben. Erleichtert stelle ich fest, dass wir den größten, wahrscheinlich auch schwierigsten Teil der Fahrt hinter uns haben. Ich lasse den Blick schweifen, über den Horizont, der Himmel ist weit. Man vergisst manchmal, wie weit der Himmel sein kann. Die Angst, den Verstand zu verlieren.
    Vor lauter Angst.
    Vor lauter Kontrolle.
     
    Als ich zur Mühle zurückkehre,
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