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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund
Autoren: Raul Zelik
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alle führen wollen, er gehört zu denen, die mit ihren Arbeiten das Erstrebenswerte gleichzeitig definieren und es als Personen repräsentieren, zu den sehr wenigen, die dem nahe kommen, was als Glücksversprechen durch die Köpfe geistert. Und trotzdem steht der Fotograf für ein elendes Leben, ein Dasein ohne jede Nähe, das man selbst sehr genau kennt, weil es das ist, was ein attraktives, urbanes Leben eben auszeichnet: eine Unzahl von Kontakten, vielleicht sogar Freundschaften – Weggehen, Feiern, manchmal auch Sex – und gleichzeitig das absolute Verlassensein. Und als Rabbee und ich an diesem Abend vom Kino nach Hause liefen, sprachen wir darüber, es war eine unserer letzten guten Unterhaltungen, woran es liegen könnte, dass unser Leben eine so hohe soziale Intensität besitzt und sich doch so einsam anfühlt. Er hat gesagt, dass es am Alter liegen könnte, weil man über dreißig die Neugier verliert, den Enthusiasmus, Freundschaften zu schließen, und ich habe von den Kindern meiner Kusine berichtet, die sechzehn und zwanzig Jahre alt sind, fast ausschließlich in ihren Zweierbeziehungen leben und unter genau der gleichen Einsamkeit leiden wie wir auch. Daraufhin habe ich auf die ständigen Ortswechsel verwiesen, die Projektaufenthalte, Stipendien und Lehraufträge, mit denen wir uns über Wasser halten, und die Weltreisen, Ferien und Besuche bei Freunden, mit denen wir uns von den Projektaufenthalten zu erholen und neue Kontakte zu knüpfen versuchen, all das reiße uns aus den Ansätzen von Nähe heraus, habe ich behauptet, und mache jede echte Beziehung zunichte. Aber weil Rabbee dieses Argument nicht überzeugte, es ihm wertkonservativ vorkam, »als wäre es erstrebenswert, festgenagelt an einem Ort zu leben, als würde einen das glücklich machen«, sind wir schließlich bei der Angst angelangt. »Ich weiß nicht, woran es liegt«, habe ich gesagt, »es gab in meinem Leben einsame und sehr soziale Phasen, Jahre, in denen ich alles nur mit mir ausgemacht habe, und andere, in denen ich kaum eine Stunde für mich allein war, und auch Zeiten, in denen beides der Fall war. Aber seit alles eine Funktion besitzt, ich mein Leben durchstrukturiere, den Tagesablauf, die Besuche bei Freunden, die Wochenenden mit Hanna, sozusagen alles unter Kontrolle ist, und ich sozusagen perfekt funktioniere, Arbeit, Kontakte, Sozialleben – seit dieser Zeit breitet sich die Angst aus, eine undefinierbare Furcht, eine alles unter sich begrabende Niedergeschlagenheit. Ich glaube, dass das der Grund ist, warum ich so oft von Partys einfach nach Hause gehe und mich ins Bett lege: Ich bin nicht allein und fühle mich doch verlassen. Weißt du, was ich dann mache? Ich schalte den Fernseher an und zappe mich durch irgendwelche schlechten Programme. Das ist die einzige Art von Menschsein, die mich dann doch noch erreicht.«
    Ich war in diesem Augenblick sehr aufrichtig. Aber Rabbee hat mir keine Antwort gegeben.
     
    Wir erreichen die Mühle kurz vor Mitternacht. Wie vor zwei Monaten wirbelt der Wagen eine kleine Staubwolke auf. Das Scheinwerferlicht verliert sich darin, diffundiert. Ich gehe zur Tür und klopfe mehrmals laut, bis Armin öffnet. Sein Gesicht ist im Dunkeln kaum mehr als ein Umriss, die solarbetriebene Batterie spendet nur bescheidenes Licht, doch dass er überrascht ist, lässt sich unschwer erkennen. Irritiert blickt er mich an, als könnte er mich ohne Brille nicht richtig zuordnen. Erst als ich zu reden anfange, scheint er sich sicher zu sein. Ich erkläre ihm, dass wir in der Nähe gewesen seien, einen Notfall gehabt hätten, ich ihm gern vorher Bescheid gesagt hätte, aber er ja kein Telefon besitze.
    »Der Freund, mit dem ich unterwegs bin«, ich zeige aufs Auto, »ist krank geworden. Ich brauch’ ein Bett, wo er sich ein bisschen ausruhen kann.«
    Armin, obwohl aus dem Schlaf gerissen, reagiert sofort. »Was hat er?«
    »Fieber … eine Tropenkrankheit.«
    »Wollt ihr nicht besser zum Arzt?«
    Ich antworte, dass Zubieta Südamerikaner sei und keine gültigen Papiere habe, dass er deswegen jede Registrierung vermeide und außerdem davon überzeugt sei, die ihm bekannte Krankheit auch zu Hause kurieren zu können. Weil Armin ein unschlüssiges Gesicht macht, füge ich hinzu, dass wir in einem Hotel an der Landstraße gefragt hätten, aber dort abgewiesen worden seien, vielleicht weil den Leuten dort die Krankheit unheimlich gewesen sei, und ich mich deshalb an Armins Angebot erinnert habe. Dass ich
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