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Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Titel: Der Besuch der alten Dame (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Ich will der Presse die Wahrheit erzählen . Rennt zur Tür.
    DER ERSTE Du kommst mir nicht zur Tür hinaus, du Verräter!
    DER LEHRER Wie ein Erzengel will ich die Wahrheit in die Welt hinausschreien.
    Der Zweite kommt mit dem Beil und stellt sich vor den Lehrer hin.
     
    DER ZWEITE Schulmeister! Mir ist ein Sohn gestorben, weil ich keine Medizin kaufen konnte. Unsere Kinder wurden zu Handlangern erzogen, weil selbst die Bildung für uns zu teuer wurde. Wir lebten wie die Tiere. Keine Freude, kein Luxus, nur Jammer und Langeweile, schlechtes Essen und schlechter Schnaps. Und nun, wie es uns etwas besser geht, willst du uns wieder ins Elend zurückstoßen? Ich will aber nicht mehr ins Dunkel zurück, Lehrer. Hör gut zu. Ich gehe nun mit diesem Beil zu Alfred Ill.
    FRAU ILL Herr Helmesberger!
    DER ZWEITE Ich erschlage ihn. Du weißt genau, daß wir keinen andern Ausweg mehr haben. Entweder krepiert einer, oder wir krepieren alle.
    Er will nach rechts hinaufstürzen, doch kommt ihm in diesem Augenblick Ill ruhig entgegen.
     
    ILL Was ist denn los in meinem Laden?
    Totenstille vor Entsetzen.
     
    ILL Was willst du mit dem Beil, Helmesberger?
    Er starrt Ill endlos lange an. Niemand regt sich.
     
    DER ZWEITE langsam Ich wollte nur dieses Beil kaufen, Ill. Doch ich glaube, ich finde vielleicht in Kaffigen ein besseres. Er gibt Ill das Beil zitternd zurück.
    ILL Ich verstehe. Dort gibt es auch eine größere Auswahl.
    DER LEHRER Alfred Ill. Ich bin ein Freund der alten Griechen, ein Bewunderer Platos. Die Menschlichkeit gebietet, dir zuzurufen: Das Städtchen ist voller Journalisten aus der ganzen Welt. Wende dich an die Presse, und der öffentliche Skandal wird dich retten!
    ILL Unsinn, Lehrer. Ich brauche die Presse nicht. Setzen Sie sich.
    DER LEHRER Setzen. Die Menschlichkeit soll sich setzen. Er setzt sich mühsam. Bitte – wenn auch Sie die Wahrheit verraten.
    Alle sind Ill gegenüber etwas verlegen.
     
    DER ZWEITE Partagas.
    ILL Bitte.
    DER ZWEITE Schreib’s auf.
    ILL Selbstverständlich.
    DER ZWEITE Klug, nicht zu schwatzen. Aber einem Halunken wie dir würde man ja auch kein Wort glauben. Er geht hinaus.
    DER ERSTE Offen gesagt: Was du Klärchen angetan hast, tut nur ein Schuft. Er geht hinaus.
    ILL schaut sich wie träumend im Laden um Alles neu. Modern wie dies jetzt bei uns aussieht. Sauber, appetitlich. So ein Laden war immer mein Traum. Wo sind die Kinder?
    FRAU ILL Auf dem Tennisplatz.
    ILL Geh sie doch holen. Ich möchte euch heute abend alle bei mir haben.
    Frau Ill geht nach links hinaus, der Lehrer sitzt immer noch da.
     
    DER LEHRER Sie müssen entschuldigen. Ich habe einige Steinhäger probiert, so zwei oder drei.
    ILL In Ordnung.
    DER LEHRER Ach, Ill, was sind wir für Menschen. Sie hätten fliehen müssen, damals, am Bahnhof. Wir hätten Sie gehen lassen, noch waren wir zur Tat nicht fähig. Aber jetzt? Die schändliche Milliarde brennt in unsern Herzen. Ich fühle, wie ich langsam zum Mörder werde. Noch vor wenigen Minuten habe ich alles den Journalisten anzeigen wollen, doch nun habe ich die Kraft nicht mehr. Mein Glaube an die Humanität ist machtlos. Schenkt sich ein und trinkt. Reißen Sie sich zusammen, Ill, kämpfen Sie um Ihr Leben. Sie haben keine Zeit mehr zu verlieren.
    ILL Ich kämpfe nicht mehr.
    Der Lehrer schenkt sich wieder ein und trinkt.
     
    DER LEHRER Sie müssen kämpfen, Ill, sonst sind Sie verloren. Und auch wir.
    ILL Ich sah ein, daß ich kein Recht mehr habe. Ich kann von euch nicht verlangen, was ich einmal auch nicht getan habe.
    DER LEHRER Kein Recht? Gegenüber dieser verfluchten alten Dame, gegenüber dieser unanständigen Parodie der Gerechtigkeit, dieser Erzhure, die ihre Männer wechselt, vor unseren Augen, schamlos, die unsere Seelen einsammelt?
    ILL Ich bin schließlich schuld daran.
    DER LEHRER Schuld?
    ILL Ich habe Klara zu dem gemacht, was sie ist, und mich zu dem, was ich bin, ein verschmierter, windiger Krämer. Was soll ich tun, Lehrer von Güllen? Den Unschuldigen spielen? Alles ist meine Tat, die Eunuchen, der Butler, der Sarg, die Milliarde. Ich kann mir nicht mehr helfen und euch auch nicht mehr.
    DER LEHRER Bin nüchtern. Auf einmal. Geht schwankend auf Ill zu. Sie haben recht. Vollkommen. Sie sind schuld an allem. Und nun will ich Ihnen etwas sagen, Alfred Ill, etwas Grundsätzliches. Er bleibt kerzengerade vor Ill stehen. Sie sind ein Schuft, Ill, nichts weiter. Und nun geben Sie mir noch eine Flasche Steinhäger.
    Ill stellt ihm eine Flasche
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