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Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Titel: Der Besuch der alten Dame (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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vor einem Leichnam kniend, über den ein kariertes Tischtuch, wie es in Wirtschaften üblich ist, gebreitet ist. Der Arzt steht auf. Nimmt das Stethoskop ab.
     
    DER ARZT Herzschlag.
    Stille.
     
    DER BÜRGERMEISTER Tod aus Freude.
    PRESSEMANN I Tod aus Freude.
    PRESSEMANN II Das Leben schreibt die schönsten Geschichten.
    PRESSEMANN I An die Arbeit.
    Die Journalisten eilen nach rechts hinten. Von links kommt Claire Zachanassian, vom Butler gefolgt. Sie sieht den Leichnam, bleibt stehen, geht dann langsam nach der Mitte der Bühne, kehrt sich gegen das Publikum.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Bringt ihn her.
    Roby und Toby kommen mit einer Bahre, legen Ill darauf und bringen ihn vor die Füße Claire Zachanassians.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN unbeweglich Deck ihn auf, Boby.
    Der Butler deckt das Gesicht Ills auf. Sie betrachtet es, regungslos, lange.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Er ist wieder so, wie er war, vor langer Zeit, der schwarze Panther. Deck ihn zu.
    Der Butler deckt das Gesicht wieder zu.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Tragt ihn in den Sarg.
    Roby und Toby tragen den Leichnam nach links hinaus.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Führ mich in mein Zimmer, Boby. Laß die Koffer packen. Wir fahren nach Capri.
    Der Butler reicht ihr den Arm, sie geht langsam nach links hinaus, bleibt stehen.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Bürgermeister.
    Von hinten, aus der Reihe der schweigenden Männer, kommt langsam der Bürgermeister nach vorne.
     
    CLAIRE ZACHANASSIAN Der Check . Sie überreicht ihm ein Papier und geht mit dem Butler hinaus.
    Drückten die immer besseren Kleider den anwachsenden Wohlstand aus, diskret, unaufdringlich, doch immer weniger zu übersehen, wurde der Bühnenraum stets appetitlicher, veränderte er sich, stieg er in seiner sozialen Stufenleiter, als siedelte man von einem Armeleutequartier unmerklich in eine moderne wohlsituierte Stadt über, reicherte er sich an, so findet diese Steigerung nun im Schlußbild ihre Apotheose. Die einst graue Welt hat sich in etwas technisch Blitzblankes, in Reichtum verwandelt, mündet in ein Welt-Happy-End ein. Fahnen, Girlanden, Plakate, Neonlichter umgeben den renovierten Bahnhof, dazu die Güllener, Frauen und Männer in Abendkleidern und Fräcken, zwei Chöre bildend, denen der griechischen Tragödien angenähert, nicht zufällig, sondern als Standortsbestimmung, als gäbe ein havariertes Schiff, weit abgetrieben, die letzten Signale.
     
    CHOR I Ungeheuer ist viel
Gewaltige Erdbeben
Feuerspeiende Berge, Fluten des Meeres
Kriege auch, Panzer durch Kornfelder
rasselnd
Der sonnenhafte Pilz der Atombombe.
    CHOR II Doch nichts ist ungeheurer als die
Armut
Die nämlich kennt kein Abenteuer
Trostlos umfängt sie das Menschengeschlecht
Reiht
Öde Tage an öden Tag.
    DIE FRAUEN Hilflos sehen die Mütter
Liebes, Dahinsiechendes.
    DIE MÄNNER Der Mann aber
Sinnt Empörung
Denkt Verrat.
    DER ERSTE In schlechten Schuhen geht er dahin
    DER DRITTE Stinkendes Kraut zwischen den Lippen
    CHOR I Denn die Arbeitsplätze, die brot-
bringenden einst
Sind leer
    CHOR II Und die sausenden Züge meiden den Ort.
    ALLE Wohl uns
    FRAU ILL Denen ein freundlich Geschick
    ALLE Dies alles wandte.
    DIE FRAUEN Ziemende Kleidung umschließt
den zierlichen Leib nun
    DER SOHN Es steuert der Bursch den sportlichen
Wagen
    DIE MÄNNER Die Limousine der Kaufmann
    DIE TOCHTER Das Mädchen jagt nach dem Ball
auf roter Fläche
    DER ARZT Im neuen, grüngekachelten Operationssaal
operiert freudig der Arzt
    ALLE Das Abendessen
Dampft im Haus. Zufrieden
Wohlbeschuht
Schmaucht ein jeglicher besseres Kraut.
    DER LEHRER Lernbegierig lernen die Lernbegierigen.
    DER ZWEITE Schätze auf Schätze türmt der
emsige Industrielle
    ALLE Rembrandt auf Rubens
    DER MALER Die Kunst ernähret den Künstler
vollauf.
    DER PFARRER Es berstet an Weihnachten, Ostern
und Pfingsten
Vom Andrang der Christen das Münster
    ALLE Und die Züge,
Die blitzenden, hehren
Eilend auf eisernen Gleisen
Von Nachbarstadt zu Nachbarstadt, völkerverbindend
Halten wieder.
    Von links kommt der Kondukteur.
     
    DER KONDUKTEUR Güllen.
    DER BAHNHOFSVORSTAND D-Zug Güllen–Rom, einsteigen bitte! Salonwagen vorne!
    Aus dem Hintergrund kommt Claire Zachanassian in ihrer Sänfte, unbeweglich, ein altes Götzenbild aus Stein, zwischen den beiden Chören hervor, von ihrem Gefolge begleitet.
     
    DER BÜRGERMEISTER Es ziehet
    ALLE Die reich uns beschenkte
    DIE TOCHTER Die Wohltäterin
    ALLE Mit ihrem edlen Gefolge davon!
    Claire Zachanassian verschwindet rechts außen, zuletzt tragen
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