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Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Der Besuch der alten Dame (German Edition)

Titel: Der Besuch der alten Dame (German Edition)
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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nicht realistisch unappetitlich mit Kastraten-Stimmen wiederzugeben sind, sondern unwirklich, märchenhaft, leise, gespensterhaft in ihrem pflanzenhaften Glück, Opfer einer totalen Rache, die logisch ist wie die Gesetzbücher der Urzeit. (Um die Rollen zu erleichtern, können die beiden auch abwechslungsweise reden, statt zusammen, dann aber ohne Wiederholung der Sätze.)
    Ist Claire Zachanassian unbewegt, eine Heldin, von Anfang an, wird ihr alter Geliebter erst zum Helden. Ein verschmierter Krämer, fällt er ihr zu Beginn ahnungslos zum Opfer; schuldig ist er der Meinung, das Leben hätte von selber alle Schuld getilgt; ein gedankenloses Mannsbild, ein einfacher Mann, dem langsam etwas aufgeht, durch Furcht, durch Entsetzen, etwas höchst Persönliches; an sich erlebt er die Gerechtigkeit, weil er seine Schuld erkennt, er wird groß durch sein Sterben (sein Tod ermangle nicht einer gewissen Monumentalität). Sein Tod ist sinnvoll und sinnlos zugleich. Sinnvoll allein wäre er im mythischen Reich einer antiken Polis, nun spielt sich die Geschichte in Güllen ab. In der Gegenwart.
    Zu den Helden treten die Güllener, Menschen wie wir alle. Sie sind nicht böse zu zeichnen, durchaus nicht; zuerst entschlossen, das Angebot abzulehnen, machen sie nun Schulden, doch nicht im Vorsatz, Ill zu töten, sondern aus Leichtsinn, aus einem Gefühl heraus, es lasse sich alles schon arrangieren. So ist der zweite Akt zu inszenieren. Auch die Bahnhofszene. Die Furcht ist bei Ill allein, der seine Lage begreift, noch fällt kein böses Wort, erst die Szene in der Peterschen Scheune bringt die Wendung. Das Verhängnis ist nicht mehr zu umgehen. Von nun an bereiten sich die Güllener allmählich auf die Ermordung vor, entrüsten sich über Ills Schuld usw. Nur die Familie redet sich bis zum Schlusse ein, es komme noch alles gut, auch sie ist nicht böse, nur schwach wie alle. Es ist eine Gemeinde, die langsam der Versuchung nachgibt, wie der Lehrer, doch dieses Nachgeben muß begreiflich sein. Die Versuchung ist zu groß, die Armut zu bitter. Die Alte Dame ist ein böses Stück, doch gerade deshalb darf es nicht böse, sondern muß aufs humanste wiedergegeben werden, mit Trauer, nicht mit Zorn, doch auch mit Humor, denn nichts schadet dieser Komödie, die tragisch endet, mehr als tierischer Ernst.
    Geschrieben 1956 für die Erstausgabe, Verlag der Arche, Zürich 1956.
    Anmerkung II
     
    Vom Besuch der alten Dame gibt es zwei Fassungen. 1959 hatte mich das Atelier-Theater gebeten, zu Ehren seines Direktors, Paul Alster, der vor 25 Jahren als Emigrant nach Bern gekommen war, meine Komödie zu inszenieren, die alte Dame sollte Hilde Hildebrand spielen, den Ill Alster.
    Ich schaute mir die Bühne an. Als Bühnenbildner war mir Ary Öchslin vorgeschlagen worden, der mir kurzerhand auf meine Bedenken geantwortet hatte, auf jeder Bühne ließe sich alles machen. Trotzdem war ich ziemlich ratlos, als ich mir die kleine Bühne anschaute: Sie befand sich in einem Keller und besaß weder eine Neben-noch eine Hinterbühne, dafür wies die Bühne eine große Versenkung auf; sie war in der Mitte der Bühne und im Verhältnis zu dieser ungemein groß. Ich sagte darauf sogleich zu. Ich wußte nun, wie ich das Stück zu inszenieren hatte: Ich ließ Claire Zachanassian von unten auftreten, als käme sie durch eine Unterführung vom Bahnsteig zum Bahnhof hinauf, wie das in vielen Bahnhöfen der Fall ist.
    Ich mußte die Personen für die Aufführung reduzieren, auch veränderte ich den 2. Akt, für ihn schrieb ich die Szene, wie Ill die alte Dame mit dem Gewehr bedroht; die übrigen Balkonszenen strich ich; im 3. Akt vereinfachte ich die Ladenszene. Ich gebe sie hier anschließend wieder.
    Im übrigen erwies sich Hilde Hildebrand als eine der besten alten Damen, die ich je sah, als eine der glaubhaftesten: Man glaubte ihr ihr Schicksal. Nach der Premiere gab die Stadt eine große Feier, der Stadtpräsident, welcher als Stadtrat der Polizei vorstand, verlas feierlich das Strafregister Alsters, das sich in 25 Jahren Emigrantendasein zusammengeläppert hatte, und dann wurde dieser zum bernischen Stadtburger ernannt.
    Geschrieben 1980 für die Werkausgabe 1980.

Dritter Akt: Szene ›Ills Laden‹
    Fassung Atelier-Theater Bern
    Vorhang oder Verwandlung. Ills Laden. Die Projektion deutet den neuen Laden an: Neue Inschrift usw. Neuer blitzender Ladentisch in der Mitte, neue Kasse, kostbarere Ware. Tritt jemand durch die fingierte Tür: pompöses Geklingel.
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