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Der Bestienhelm

Der Bestienhelm

Titel: Der Bestienhelm
Autoren: Hans Kneifel
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Gesichtsausdruck war in der Dunkelheit nicht zu erkennen.
    »Ja, natürlich!«
    »Die Weiber«, erklärte er, »wissen nicht, was gut für sie ist. Die bleiche Kalathee denkt nur an Mythor. Eines Tages wird sie einsehen, dass sie einen Fehler begangen hat. Dann mag es vielleicht zu spät sein. Aber vielleicht auch nicht. Kurzum, Freund Nottr, du musst viel Geduld haben.«
    Die Finsternis und das Bewusstsein, die einzig lebenden Wesen inmitten einer leblosen Umgebung zu sein, schufen zwischen den zwei Kampfgenossen eine seltsame Vertrautheit. Sie würde am Morgen, wenn es hell wurde, vielleicht vorbei sein. Jetzt aber suchte jeder von ihnen das Gefühl der ungreifbaren Ängste loszuwerden, indem er mit dem Gegenüber die eigenen Nöte besprach.
    »Geduld? Wie lange?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht ist der Tag nicht fern.«
    »Welcher Tag?«
    »Der Tag, an dem Kalathee in wilder Leidenschaft zu dir entbrennt. Oder der Tag, an dem du stirbst. Oder derjenige, an dem sie verschwunden ist. Irgendein Tag, Nottr. Und vielleicht findest du schon morgen oder übermorgen eine andere Frau, für die dein Herz brennt wie ein Feuer.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Glauben oder nicht: Alles ist möglich.«
    Die Kurnis raste auf dem Kamm einer Welle dahin wie ein Vogel. Das Jaulen des Windes ließ nach, jedes Wort der Unterhaltung klang auf einmal doppelt so laut. Dann schwang sich das Schiff hinunter in das Wellental, bohrte den Bug in die Wassermasse und richtete sich ächzend und schwerfällig wieder auf. Eine Wasserflut kam von vorn, brach sich am Mast und zersprang in kleine Wasserarme, die nach den beiden Männern griffen und sie vom Deck fegen wollten. Die Finger der Steuermänner krallten sich um das Ruder, die Kleidung sog sich voller Wasser, und Nottr und Sadagar federten die Stöße mit den Knien ab. Sie wischten sich mit den kalten Unterarmen Wasser und Angstschweiß aus den Gesichtern.
    Schließlich, nachdem das Boot wieder einigermaßen ruhig lag, stöhnte Nottr auf. »Wäre Mythor nicht mein Freund, ich brächte ihn um.« Die Erregung hatte ihn gepackt.
    »Mythor ist dein Freund. Er wird Kalathee nicht anrühren«, rief Sadagar. Er sah keine Möglichkeit, Nottr zu helfen oder dessen starren Sinn zu brechen. Immerhin versuchte er es. »Wenn du zornig bist, so sei es zu Kalathee. Um sie kreisen deine Gedanken!«
    »Du hast recht.«
    Obwohl sie jede Stunde verfluchten, die sie am Steuer standen, wussten sie dennoch, dass Mythor schlafen und sich erholen musste. Seit sie aus den Kavernen und Stollen mitten in Nyrngor aufgetaucht waren, hatte es kaum Gelegenheit gegeben, sich auszuruhen. Für Mythor war diese Fahrt die erste wirkliche Gelegenheit. Sie schworen sich, durchzuhalten. Wenn nicht Ungeheuer aus der Meerestiefe auftauchten oder Dämonen sich aus der stürmischen Nacht auf das Schiff stürzten, würden sie die Kurnis steuern. Das Segel war festgezurrt; die Leinen brauchten nicht angezogen oder gelockert werden. Stunde um Stunde verging. Sadagar und Nottr hingen ihren Gedanken nach.
    Der Mond beschrieb seinen Weg über ihnen und sank hinter den Horizont. Die Sterne verblassten, und im Osten breitete sich ein blassrotes Band Helligkeit aus. Die Höhe der Wellen und die Kraft des Windes blieben gleich. Zum erstenmal an diesem Tag sahen Sadagar und Nottr wieder Land.
    Es war grau und braun, eine Kette von Felsen, die sich von Südwest nach Nordnordost erstreckten. Die Brandung brach sich an ihnen und vor den kleinen steinernen Inselchen. Vom Schiff aus erkannten sie deutlich die zerstäubenden Wassermassen, die einen weißen Saum bildeten. Das Morgenlicht wurde stärker. Der Streifen änderte seine Farbe. Erste Lichtblitze schossen hinter dem fernen Ufer waagrecht über das belegte Meer. Drei Viertel des Himmels blieben von einer grauen Wolkendecke verborgen. Suchend bewegten Nottr und Sadagar die Köpfe und blinzelten mit geröteten Augen rundum.
    Es war nicht gleich auszumachen, ob die flach einfallenden Sonnenstrahlen nur eine große Welle, einen treibenden Gegenstand oder tatsächlich zwei Schiffe am Westhorizont anstrahlten. Sadagar stieß Nottr an und deutete darauf. »Was siehst du?« krächzte er und schüttelte Salzkristalle aus dem Haar.
    Schweigend starrte der Lorvaner auf die bezeichnete Stelle und gab dann zurück: »Schiffe. Zwei Schiffe. Sehr weit weg.«
    Immer dann, wenn sich die Kurnis auf einem Wogenkamm befand, sahen sie die Rümpfe und die Segel deutlicher. Es waren schwarze Schiffe oder solche, deren
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