Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman
Autoren: Ulf Schiewe
Vom Netzwerk:
tot in ihrer Hütte, auf dem Rücken liegend und mit Guilhems Schwert wie ein Kreuz auf der Brust unter friedlich gefalteten Händen.
    Seufzend erhob ich mich, zog mein bestes Gewand an und stieg hinunter von meinem Turm. Es war immer noch früh, obwohl ich schon ein paar Mägde in der Küche rumoren hörte. Ich grüßte unseren Wachmann am Burgtor und ging die wenigen Schritte bis zum Gottesacker. Neben Bertas Grab steht eine Bank, auf die ich mich gerne setze, wenn ich nachdenken oder mit ihr Zwiesprache halten möchte. Ein kalter Wind pfiff das Tal entlang, und ich hüllte mich enger in meinen Mantel.
    »Seit wann ist sie tot?«, hörte ich plötzlich jemanden neben mir sagen.
    »Bruder
Aimar. Schon so früh auf?« Ich bat ihn, neben mir Platz zu nehmen. »Seit fünf Jahren, um deine Frage zu beantworten.«
    Ich seufzte und schwieg. Konnte ein Jüngling wie er denn überhaupt nachfühlen, was der Tod eines Menschen bedeutet, mit dem man über sechzehn Jahre lang Tisch und Bett, Liebkosung und Leidenschaft, Freude wie auch Tränen, Worte und Gedanken geteilt hat, einem Menschen, dessen Leib man besser kennt als den eigenen?
    »Ihr wart ihr sehr zugetan.« Sein Gesicht war voller Mitgefühl.
    »Mehr als das«, flüsterte ich.
    Nicht der Tod an sich ist das Schlimmste. Tod umgibt uns überall, und wenn man sich auch nicht an ihn gewöhnen kann, so lernen wir, mit ihm zu leben. Frauen sterben im Kindbett, Kinder zu oft im zarten Alter, Männer lassen ihr Leben im Krieg, wie mein geliebter Sohn Martin. Auch ein Unfall ist schnell geschehen, wie ihn Guilhem erleiden musste, als er eines Tages beim Einreiten eines jungen Pferdes stürzte und sich das Genick brach. Oder eine Krankheit, gegen die alle Kräuter machtlos sind.
    Nein, schlimmer als der Tod ist die Leere, die zurückbleibt, die Worte, die nicht mehr gesprochen werden, der Kuss, den man nie mehr auf den Lippen spüren wird, das Lächeln, das für immer verflogen ist. Manchmal dachte ich an Ramon. Besonders seit ich allein geblieben war, fehlte er mir. Ein schwachsinniges Kind, das in seiner Hilflosigkeit immer Kind geblieben wäre. Nicht wie Raol und Martin, die in die Welt gezogen sind. Ramon wäre mir treu geblieben.
    »Wie ist die
Domina
gestorben?«, fragte Aimar.
    Ich räusperte mich. »In den Jahren nach der Fehde war das Leben gut zu uns. Die Verluste konnten wir ausgleichen, ich war beschäftigt, die Feldwirtschaft auszuweiten, neue Bauern anzusiedeln und eine Schafzucht aufzubauen, Berta kümmerte sich mit unserem
villicus
um die Verwaltung. Es waren glückliche Jahre.«
    Dass unsere kleine Anhes schon im Säuglingsalter gestorben war und Berta nach der schweren Geburt keine Kinder mehr austragen konnte, waren die einzigen trüben Augenblicke. Martin war mein ständiger Begleiter gewesen. Ich brachte ihm alles bei, was ich ihn lehren konnte. Und die Liebe, die Raol mir verweigert hatte, hat er mir dreifach geschenkt. Einen besseren Sohn konnte ein Vater sich kaum wünschen.
    »Raols Abwesenheit war die einzige dunkle Wolke. Dass wir oft nicht wussten, ob er noch lebte und wie es ihm gehen mochte. Er sei wie sein Vater, scherzte Berta gern, ginge in die Welt und ließe nichts mehr von sich hören. Aber insgeheim fraß es an ihrer Seele, und ich wusste, dass sie litt, wenn sie oft grundlos seufzte. Vielleicht war es das, was sie am Ende krank gemacht hat.«
    »Eine schlimme Krankheit?«
    »Sie begann, auf einmal dahinzusiechen, magerte ab und wurde immer schwächer. Niemand wusste es sich zu erklären, auch Hamid konnte ihr nicht helfen. Ich war verzweifelt und entschloss mich zuletzt, mit ihr die lange Reise nach Montpelher anzutreten, denn in dieser Stadt wirken die besten Ärzte des ganzen Landes.«
    Die Reise hatte Berta noch mehr geschwächt, und oft mussten wir tagelang Rast machen, um sie zu schonen. In Montpelher brachte ich sie zu allen bekannten Ärzten der Stadt. Mancher weise
medicus
gibt dort Unterricht, denn von weit her kommen Wissbegierige, um hier die Kunst der
physica
zu lernen. Die Ärzte versuchten alles, um Berta zu helfen. Die einen schworen auf arabische Medizin, andere bevorzugten die griechische Überlieferung. Bei Kräutermischern und Handauflegern waren wir, und selbst die Gebeine der Heiligen zeigten keine Wirkung.
    »Nichts schien zu helfen, im Gegenteil. Von all diesen Behandlungen, besonders von den ständigen Aderlässen, wurde sie immer schwächer, bis ihr die Haare ausfielen und sie fast nichts mehr wog. Du kannst dir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher