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Der aufrechte Soldat

Der aufrechte Soldat

Titel: Der aufrechte Soldat
Autoren: Brian W. Aldiss
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werden, den restlichen Krieg unter unserem Klapptisch zu erleben. Verärgert tat Vater so, als hätte er nichts bemerkt (eine besonders beliebte Taktik), und ging durch den Raum, um genauestens unsere eigene Verdunkelung zu testen, wobei er dreimal die Vorhänge auf- und zuzog, als gäbe er einem Schwarm Dorniers, die über uns kreisten, ein geheimes Zeichen. Nelson und seine Holde nutzten die Gelegenheit, um sich davonzuschleichen, und ich schaffte es, Sylvia immerhin bis zur Küche mitzulocken.
    »Komm, gehen wir wenigstens in den Garten etwas frische Luft schnappen.«
    »Ich werde eine rauchen. Möchtest du eine Park Drive?« Sie hielt mir ihre Zigarettenpackung hin. »Das ist alles, was unser Zigarettenmann in der Nachbarschaft noch anbieten kann, und mir ist es eigentlich egal, welche Marke ich rauche.«
    »Danke. Laß uns draußen rauchen. Hier drin kann man ja sein eigenes Wort nicht verstehen.« Unsere Hände berührten sich, als ich ihr Feuer gab.
    »Ich hab’ die ganze Zeit der Musik zugehört. Meinst du nicht auch, daß Artie Shaw der beste Musiker aller Zeiten ist?«
    »Hör mal, laß uns bitte rausgehen! Das mit der Musik dauert nicht mehr lange – meine Mutter schaltet sie bestimmt gleich aus und sagt Gedichte auf, falls sie meint, daß es hier zu laut wird. Der alte Church braucht nur einen über den Durst zu trinken, und schon bricht da drin das Chaos aus!«
    Wir standen uns am Küchentisch gegenüber, rauchten unsere Zigaretten und sahen uns an. Sie sah immer reizender aus. War es nicht so, daß sie längst wußte, welche Absichten ich verfolgte? Wo war ihr Patriotismus geblieben? So verzweifelt ich mir auch wünschte, sie zu küssen – nur zu küssen, wenn mehr nicht zu bekommen war –, hielt meine gesamte Erziehung mich davon ab, es ihr direkt mitzuteilen. Alles mußte entsprechend einer Folge völlig veralteter Regeln ablaufen, Regeln, die so vage waren, daß man eigentlich niemals genau wußte, ob man innehalten oder weitermachen sollte. Oder es gab da noch den etwas moderneren, aber ebenso hindernisreichen Weg, zum Ziel zu kommen, nämlich die Kino-Methode, wo alles total romantisch geschehen mußte, wo sie diesen gewissen Ausdruck in den Augen haben mußte und ein Mond an den Himmel gehörte und Max Steiner seine Geigen schluchzen ließ und wo man dann leise zu reden begann und sich die witzigsten, zärtlichsten, von Selbstbetrug triefendsten Dinge zu sagen begann: »Ich habe mich noch nie so jung gefühlt wie heute.« – »Wirklich, du siehst aus wie ein großer Junge!« – »Das bist nur du, Liebling, du bringst die Jugend in mir zum Vorschein.« – »Sind wir alle nicht im Grunde Kinder?« – »Heute abend sind wir das ganz bestimmt.« Diese gewissermaßen amerikanische Methode war noch schwerer zu vollziehen als die nach dem alten britischen Protokoll, aber wenn man sie einmal beherrschte, dann erzielte man damit Erfolge. Die Musik brandete auf, man faßte sich bei den Händen, Blumen erschienen aus dem Nichts, man stand da, die Lippen berührten sich, Bäuche und Unterleiber begannen wie von selbst zu kreisen. Aber mit dem geschrubbten Küchentisch zwischen uns fing nichts an sich zu entspinnen.
    »Wirst du auch mal an mich denken, wenn ich auf Wake Island oder in irgendeinem anderem Höllenloch stecke?«
    Da legte Ann nebenan ihren Lieblingssong auf, der auch der Lieblingssong aller anderen war, nämlich Ben Camber mit »That Lonely Weekend«. Wir konnten die Worte in der Küche hören, wo sie mich mit ihrer mittelschicht-typischen Angst vor dem Krieg und der Trennung richtig anstachelten.
    »Ich liebe diesen alten Titel«, sagte unsere gute alte Syl. »Bei uns im Büro ist ein Bursche, der nennt den Song ›That Dirty Weekend‹.« Sie lachte.
    »Ein entsetzliches Lied – es erinnert mich an das, was ich vermisse. Schon morgen übers Meer gejagt, auf Nimmerwiedersehen. In irgendeinen fernen Winkel eines völlig fremden Landes und so weiter …« An dieser Stelle hatte ich bereits den Arm um ihre Taille geschlungen und drückte mich schwer atmend an ihre linke Seite. Sie gab vor, es nicht zu bemerken. »Wo ist eigentlich dein Bruder stationiert?«
    Heutzutage würde man einem Mädel ein paar drübergeben, wenn sie einem in einer solchen Situation eine derart alberne Frage stellte. Schließlich entführte ich sie durch die Hintertür nach draußen in die milde dunkle Herbstluft. Man konnte deutlich erkennen, daß sie sich nicht sonderlich dagegen sträubte. Während unter unseren
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