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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition)
Autoren: Ewald Arenz
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    Die Photographen brachten sich in Stellung. Die beiden Saaldiener huschten mit hastigen Verbeugungen von einem zum anderen und gaben sich vergeblich Mühe, die Herren zu bitten, den Boden zu schonen: Die großen Holzstative schurrten trotzdem mit ihren Stahlspitzen auf dem Parkett der Halle. Lilli sah den alten Männern in ihren viel zu großen Uniformen mit einem flüchtigen Mitleid zu. Denen steckte noch die alte Zeit in den Knochen, noch vor zehn Jahren hatte man wohl niemanden darauf aufmerksam machen müssen, welches Benehmen bei solchen Anlässen angebracht war. Sie hatte schon viel zu oft gesehen, wie nachlässig, überheblich und schnodderig sich die Bildreporter der großen Berliner Zeitungen gerne gaben. Es hatte auch kaum einer von ihnen die Mütze oder den Hut abgenommen, obwohl die Saaldiener mit lächerlich übertriebenen Handzeichen immer wieder vormachten, was die Höflichkeit eigentlich gebot. Auch die meisten ihrer Kollegen hatten den Hut noch auf. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie neben Notizblock und Bleistift nicht noch etwas in der Hand halten wollten, aber wahrscheinlich waren es einfach die modernen Tage. Alles hastete, eilte, telephonierte; jeder war so beschäftigt, dass er keine Zeit mehr hatte, den Hut zu ziehen – oder auf diese Weise wenigstens so tun konnte, als ob er wichtig sei. Berlin war zu einer Stadt geworden, in der die Uhren nicht mehr gemächlich gingen und gewichtig die Stunden schlugen, sondern nervös tickten und unruhig läuteten. Der Verkehr rauschte Tag und Nacht, die Straßenlaternen brannten bis zum Morgen, irgendein Café hatte immer auf. Es war wunderbar, aufregend, spannend – und trotzdem war da etwas von der Gelassenheit des Kaiserreichs verloren gegangen. Lilli musste auf einmal über die Saaldiener lächeln, die so gar nicht aufgeben wollten. Es hatte etwas Rührendes, wie sie nicht wahrhaben wollten, dass Livree, Adel und Etikette nicht mehr galten, dass sie Überbleibsel einer alten, versunkenen Zeit waren. Sie sah sich um. An den Wänden entlang standen einige mit rotem Samt bezogene Stühle, darüber hingen Porträts der großen Außenminister des alten Reichs; allen voran Bismarck, von dem es zwei Gemälde gab. Die hohen Fenster des Auswärtigen Amtes hatte man der kühlen Vormittagsluft geöffnet. Blendend weiß leuchteten schiefe Vierecke auf dem hellen Holzboden. Eine strahlende Herbstsonne war an diesem klaren Morgen über die Wilhelmstraße gestiegen und zeichnete sogar hier im Saal alle Konturen überscharf. Es war wunderbares Wetter, aber kein ideales Licht für Photos, dachte sie flüchtig, die Photographen würden dagegen blitzen müssen, und das machte die Schatten hart.
    Die großen Flügeltüren öffneten sich, und Lilli konnte Staatssekretär von Schubert sehen, den sie bei einem Wohlfahrtsessen ihrer Redaktion kennengelernt hatte. Er war in der Tür stehen geblieben und sah über die bunte Versammlung der Reporter. Von Schubert trug einen tadellos sitzenden Cutaway, wie es sich für Staatsbesuche gehörte, und Lilli meinte, einen ganz leisen Spott in seinen Mundwinkeln sehen zu können, als er all die karierten Knickerbockers, die zu kurzen Jacketts, die zweifarbigen Budapester Schuhe und die zerknautschten Jagdmützen und Hüte sah. Sie machte sich eine Notiz darüber. Das konnte man vielleicht brauchen. Von Schubert sagte nichts, aber er erreichte innerhalb weniger Sekunden das, was die beiden Saaldiener in der letzten Viertelstunde nicht geschafft hatten: Es wurde still.
    »Meine Damen und Herren«, sagte er dann, ohne die Stimme zu erheben, aber mit professioneller, präziser Artikulation, »Seine Majestät, der König von Irak, Emir Faisal.«
    Er trat einen Schritt beiseite, und aus dem Dunkel des Konferenzraumes kam der erste wirkliche König, den Lilli in ihrem Leben sah. Komisch, dachte sie belustigt, als der Emir in die Helligkeit des Saales trat, ich bin im Kaiserreich geboren und aufgewachsen, aber erst in der Republik begegne ich dem ersten lebenden Monarchen. Doch dann riss sie plötzlich ganz unerwartet ein kollektives, scharfes Einatmen aus ihren Gedanken. Zwei Meter hinter dem Emir, der einen makellos weißen Burnus mit einem blauen Mantel darüber trug, einen beeindruckenden Dolch im Gürtel hatte und ziemlich gut aussah, wie Lilli fand, strich lautlos ein Panther in den Raum. Er war angekettet, aber der Emir hielt das Ende nur lose in der linken Hand. Seine Schulterblätter bewegten sich beim Gehen in einem so
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