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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition)
Autoren: Ewald Arenz
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eine neue?«
    »Gennat wird Ihnen den Kopf abreißen, wenn die Photographien nichts taugen«, sagte Togotzes trocken, »wir beide hier sind schon nass bis auf die Knochen. Kommen Sie sofort raus und machen mir ein paar schöne Bilder von dem schweigsamen Kollegen hier.«
    Manchmal ging Schambacher die Schnoddrigkeit seines Kollegen zu weit, aber meistens funktionierte sie. Müller stieg jetzt beleidigt, aber immerhin mit einem Bein aus dem Fenster und photographierte den Toten. Das Blitzlicht spiegelte sich in den tiefen Pfützen um ihn. Die Krempe des Hutes, der neben der Leiche lag, schwamm sogar ein bisschen auf und bewegte sich mit dem abfließenden Wasser. Der Regen prasselte und verschluckte die Straßengeräusche von unten. Schambacher gab es endgültig auf, trocken bleiben zu wollen, legte den Schirm weg und kniete sich auch hin. Die Hände des Toten hatten sich im Sterben geöffnet, aber wenn da jemals Wollflusen oder etwas anderes von einem Kampf gewesen waren, dann hatte der Regen sie längst fortgespült.
    »Na gut!«, sagte Schambacher nach einer Minute vergeblichen Suchens, wollte aufstehen und die Schupos rufen, um den Toten hereintragen zu lassen, als ihm doch noch etwas auffiel. Der Zierbalkon hatte einen Abfluss, damit das Regenwasser nicht durch die Balustrade auf die Freitreppe vor dem Theater traufen sollte. Eigentlich war es bloß ein kleines Loch, das ins Fallrohr führte. Aber da es so stark regnete, hatte sich das Wasser gestaut und floss nur langsam ab. Und in der Pfütze, vielleicht zwei Zentimeter vor dem Rohr, lag ein Glassplitter im Wasser und wurde allmählich zum Loch hingetrieben. Schambacher sah hoch. Es gab keine zerbrochene Scheibe. Er langte vorsichtig in die Pfütze, um den Splitter nicht durch eine unachtsame Bewegung noch ins Loch zu spülen. Aber er hätte ihn dennoch beinahe verloren, denn das Ding wollte eben in den Abfluss rutschen, als Schambacher den Splitter, der sich mittlerweile schon im Fallrohr befand, noch schnell mit dem Zeigefinger gegen die Wand presste und dann millimeterweise allmählich hochschob. Schließlich hatte er ihn doch nach oben gebracht und konnte ihn aufnehmen. Aus seinem Zeigefinger quoll ein Blutstropfen heraus, der vom Regen gleich wieder abgewaschen wurde. Schambacher sah auf das Glas in seiner Hand.
    »Werner«, sagte er dann langsam und mit stillem Vergnügen zu Togotzes, »sieh mal, was ich hier habe.«
    Togotzes stieg über den Toten, kam zu Schambacher und ließ sich den Glassplitter geben, der eigentlich mehr wie ein Glassteinchen aussah.
    »Und?«, fragte Togotzes. »Was ist das?«
    »Das, lieber Graf«, sagte Schambacher sanft und fast zärtlich zu seinem Kollegen, »ist ein Diamant.«

3
    Es musste ein Junitag im Jahr 1908 gewesen sein, an dem Wilhelm und Paul sich trafen, um, wie immer in diesem Sommer, Indianer zu spielen. Lilli hatte so lange gebettelt, bis Wilhelm die Augen nach oben gedreht und sie an der Hand gepackt hatte, um sie mitzunehmen:
    »Wenn du dich ein einziges Mal beklagst, dass es zu schnell geht, lasse ich dich stehen. Dann darfst du nie wieder mit.«
    Lilli hatte strahlend genickt. Sie liebte es, mit dabei sein zu dürfen, wenn die Jungs spielten. Und sie war stolz darauf, dass sie von allen Mädchen in ihrer Klasse am schnellsten rennen konnte. Vielleicht nahm Wilhelm sie nur deshalb widerstrebend mit, weil sie ein halber Junge war, wie Papa manchmal im Scherz sagte. Es war schon später Nachmittag, als sie durch den lang gestreckten Garten liefen, um über die Mauer in Pauls Garten zu klettern. Dort gab es eine Weide, deren Äste so geschickt wuchsen, dass man auf diesem Wege schneller bei Paul war, als wenn man vorne herum durch das benachbarte Haus ging. Außerdem musste man dann immer warten, bis einem Gerda geöffnet hatte. Gerda war van der Laans Hausmädchen und immer schlecht gelaunt. Lilli grauste sich ein bisschen vor ihr, weil sie einen kleinen Damenbart hatte. Außerdem sprach sie nicht ordentlich Deutsch, fand Lilli.
    »Das kommt«, hatte Paul ihr einmal erzählt, »weil Gerda aus Belgien ist. Großvater hat sie geholt. Er mag die deutschen Dienstmädchen nicht. Er sagt, sie klauen.«
    »Ach«, hatte Lilli altklug geantwortet, »das sagt Mama auch immer. Es ist ein Kreuz mit dem Personal!« Und dann hatte sie sich gewundert, dass beide, Paul und Wilhelm, nachdem sich ihre Blicke getroffen hatten, lauthals losprusteten. Paul hatte lachend einen Zeitungsfetzen zur Hand genommen und so getan, als läse er
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