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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition)
Autoren: Ewald Arenz
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Lilli nicht weinen.
    »Wo sind sie?«, schrie sein Vater wütend. Die Uhrkette tanzte aufgeregt auf seiner schwarzen Weste.
    Paul streckte seinem Vater schweigend das Zigarrenkistchen hin. Der nahm und öffnete es, zählte die Steine.
    »Bist du … hast du den Verstand verloren? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, schrie er Paul immer noch an. »Das sind Steine im Wert von zehntausend Mark, und du spielst damit im Garten? Was denkst du dir eigentlich? Was …«
    Er wurde unterbrochen. Pauls Großvater war aus dem Salon nun auch auf die Veranda getreten. Ruhig langte er nach dem Kästchen, das Pauls Vater in der Hand hatte, zählte mit einem Blick die Steine und sagte dann nur ein Wort zu seinem Sohn:
    »Warte!«
    Es war immer eine leichte, ungewohnte Melodie in seinen Worten, fand Lilli. Es war sein weicher holländischer Akzent, der auch nach vierzig Jahren in Deutschland noch hörbar war. Er wandte sich an Paul, und dann tat er etwas, was Lilli noch nie bei einem so alten, würdigen Herrn gesehen hatte. Der Großvater ging vor Paul auf die Knie und sah ihm ins Gesicht.
    »Paul«, sagte er dann ruhig und mit viel tieferer Stimme als sein Sohn, »du weißt doch, wie wertvoll Diamanten sind. Warum hast du sie einfach aus der Werkstatt genommen, ohne meine Erlaubnis?«
    Jetzt, als er so sanft gefragt wurde, musste Paul auf einmal doch mit den Tränen kämpfen.
    »Sie waren nicht da …«, sagte er stockend, »und ich wollte einmal einen richtigen Schatz haben. Ich hätte sie ja zurückgebracht …«
    »Na, was sind wir froh!«, kam es schneidend ironisch von seinem Vater. Großvater van der Laan achtete nicht auf ihn. Er war immer noch auf Pauls Höhe und sah ihm ins Gesicht. Dann lächelte er plötzlich.
    »Na, und wenn du ihn nicht wiedergefunden hättest, was dann?«
    Paul zuckte nur die Schultern. Lilli konnte sich nicht mehr zurückhalten.
    »Er hat ein Kreuz gemacht!«, rief sie hell. »Man hätte sie immer wiedergefunden!«
    »Scht!«, zischte Wilhelm.
    Großvater van der Laan musste lachen.
    »Soso«, sagte er, »ein Kreuz.«
    Dann wandte er sich noch einmal mit großer Strenge an Paul.
    »Du darfst aus der Werkstatt nichts, aber wirklich gar nichts nehmen, ohne mich zu fragen. Hast du verstanden?«
    Paul nickte schniefend. Sein Haar leuchtete viel schöner in der Sonne als die blöden Diamanten, fand Lilli im Stillen.
    »Versprichst du mir das?«, fragte Großvater van der Laan Paul eindringlich.
    »Das wäre ja noch schöner!«, schnaubte Pauls Vater. »Versprechen! Paul tut, was man ihm befiehlt.«
    »Ich versprech’s«, flüsterte Paul, froh, dass die Sache doch irgendwie glimpflich abgegangen war.
    Großvater van der Laan stand auf. Pauls Mutter, die sah, dass die Sache geregelt war, verschwand lautlos im Salon. Pauls Vater stand in unschlüssiger Wut neben seinem Vater, der eben, mit dem Kästchen in der Hand, auch zurück ins Haus wollte. Aber dann, nach einem Blick auf seinen Sohn, drehte er sich zu den drei Kindern um und befahl freundlich:
    »Mitkommen!«
    Paul bekam noch einen Katzenkopf, als er an seinem Vater vorbeiging und dem Großvater folgte, aber das war es dann auch schon. Auch Pauls Vater ging zurück ins Haus, wobei er irgendetwas murmelte, was Lilli nicht verstand. Sie gingen die Treppen hinunter ins Souterrain, wo Großvater van der Laan seine Wohnung und die kleine Werkstatt hatte.
    Es war das erste Mal, dass Lilli in die Werkstatt durfte, und sie verhielt sich sehr still, denn sie hatte das Gefühl, dass Großvater van der Laan vor allem die Jungs mitnehmen wollte und sie nur so mitkam, weil sie eben da war. Der alte van der Laan holte einen Schlüssel an einer langen Kette aus der Hosentasche und schloss die Tür auf. Sie war aus schwarz lackiertem Eisen und wohl sehr schwer.
    Die beiden Jungs drängten direkt hinter van der Laan her, Lilli aber blieb einen Augenblick in der Tür stehen, um sich den Raum zu betrachten. Die späte Junisonne schien durch zwei fast mannshohe, aber schwer vergitterte Fenster, die zum Garten gingen. Schräg und scharf und schwarz lagen die Schatten der Gitterstäbe auf dem sonnenhellen Tisch und dem freundlich hellbraunen Holzboden; so, als hätte jemand die Werkstatt in lauter schmale Streifen geschnitten, dachte Lilli. Auf dem Tisch standen viele kleine Blechsiebe, von denen Lilli nicht wusste, wozu sie dienten. Und eine Waage – fast so klein wie in ihrem Puppenhaus, und die Gewichte dazu lagen winzig klein in einem Kästchen, das mit
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