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1508 - Der Templerjunge

1508 - Der Templerjunge

Titel: 1508 - Der Templerjunge
Autoren: Jason Dark
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Dover - London, das war seine Strecke. Eine sehr wichtige Bahnlinie.
    Besucher vom Kontinent sollten so schnell und sicher wie möglich in die Metropole gebracht werden, und umgekehrt wurde auch ein Schuh daraus.
    Ossy kannte die Strecke wie im Schlaf. Er hätte sie auch mit geschlossenen Augen fahren können, aber daran war nicht zu denken. Er blieb auch in der Nacht konzentriert, denn er war nicht nur für den Zug verantwortlich, sondern auch für die Reisenden, und da durfte er sich keinen Fehler erlauben.
    Ossy Stuart war hellwach, was auch gut war, denn urplötzlich sah er die Gestalt!
    Ein Kind, ein Junge, stand mitten auf den Schienen im grellen Licht des Scheinwerfers! Er winkte mit beiden Armen und bewegte sie so, als sollte der Zug gestoppt werden.
    Das Adrenalin schoss durch Stuarts Körper!
    Innerhalb von Sekunden musste er eine Entscheidung treffen. Die konnte nur aus einer Notbremsung bestehen, doch auch wenn er sie durchzog, er würde den Zug nicht vor Erreichen des Jungen zum Halten bringen. Also die…
    Nein, nicht mehr. Er konnte weiterfahren. Keine Notbremsung.
    Der Schienenstrang war leer, und als Ossy Stuart das sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Zugleich fing er an zu zittern und auch zu schwitzen.
    Da drang ihm der Schweiß aus den Poren und rann an seinen Wangen und im Nacken hinab.
    Er fuhr weiter.
    Er hatte die Stelle, an der der Junge gestanden hatte, längst passiert und gönnte es sich sogar, einige Sekunden lang die Augen zu schließen, wobei sein Atem aus dem Mund fuhr wie eine unsichtbare zischende Wolke.
    Es gab keinen Jungen mehr!
    Aber es hatte ihn gegeben!
    »Ich bin doch nicht übergeschnappt«, sprach er vor sich hin. »Nein, ich habe ihn gesehen und…«
    Während der Zug weiterhin auf der schnurgeraden Trasse in die Nacht, die schon sommerlich warm war - zu warm für die Jahreszeit -, hinein raste, flüsterte er vor sich hin, um sich selbst zu bestätigen: »Ich habe ihn gesehen!«, In Gedanken redete er mit sich weiter.
    Aber was ist dann passiert? Warum ist er so schnell verschwunden?
    Warum gibt es ihn nicht mehr, verdammt? Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! So etwas ist unmöglich!
    Ossy Stuart war geschockt. Er starrte noch intensiver als zuvor auf die im Licht glänzenden Gleise, ohne dass er etwas zu Gesicht bekam. Der Schienenstrang war leer wie immer. Es waren keine Hindernisse zu erkennen.
    Der regionale Zug rollte mit gleicher Geschwindigkeit weiter. In einer halben Stunde würden sie London erreicht haben und in den Bahnhof Victoria Station einfahren. Das Ende einer Reise, die Ossy Stuart nie in seinem Leben vergessen würde.
    Der Junge war plötzlich da gewesen. Als wäre er vom Himmel gefallen.
    Und ebenso schnell war er wieder verschwunden. Wie aufgelöst oder weggewischt.
    Ossy hatte bisher nicht an Geister geglaubt, und das glaubte er auch jetzt nicht, obwohl er den Jungen auf den Schienen gesehen hatte. So etwas bildete man sich nicht ein.
    Er wusste keine Antwort, aber er würde froh sein, wenn er den Bahnhof in London unbeschadet erreichte.
    Allmählich verlor sich der Schock bei ihm. Die Normalität kehrte zurück.
    Er stand trotzdem wie auf glühenden Kohlen und lauschte auf jedes Geräusch, das sich fremd anhörte und sich von den normalen unterschied.
    Nein, da gab es nichts, was ihn gestört hätte. Der Zug rollte normal durch die Nacht. Die Geräusche hatten sich nicht verändert. Das Rollen der Räder auf den Schienen war wie eine bekannte Melodie, die er in seinem Leben nie missen wollte.
    Mit dem Taschentuch tupfte Ossy seine letzten Schweißperlen von der Stirn. Es ging ihm jetzt besser, und er grübelte darüber nach, ob er den Vorfall seinen Vorgesetzten melden sollte oder nicht.
    Natürlich hatte Stuart von Selbstmördern gehört, die sich plötzlich vor einen fahrenden Zug auf die Schienen warfen und sich überrollen ließen.
    Er dankte dem Himmel, dass er bisher von einem derartigen Vorfall verschont geblieben war. Andere Kollegen hatten davon berichtet, und sie waren danach in psychiatrischer Behandlung gewesen oder auch in den Innendienst versetzt worden.
    Nein, dieser Junge war kein Selbstmörder gewesen. Vielleicht hatte er sich selbst etwas beweisen wollen. Das konnte sich der Lokführer kaum vorstellen, dazu war er schon zu nahe gewesen. Für Stuart kam es einem Wunder gleich, dass der Junge es noch geschafft hatte, die Schienen zu verlassen.
    Es war nichts passiert, und deshalb nahm sich Ossy Stuart vor, alles auf sich
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