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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition)
Autoren: Ewald Arenz
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elegant und aufrecht – den Gehsteig hinunterging und dann in die Wilhelmstraße abbog. Paul also. Na ja, dachte sie, immerhin habe ich so einen Grund, ihn zu besuchen. Es war jetzt richtig warm geworden. Sie zog ihr Jackett wieder aus, nahm ihn über den Arm und machte sich auf den Weg in die Redaktion. Ein leichter Wind ging durch die Straßen Berlins und bewegte sacht die Blätter, die eben begonnen hatten, sich zu färben. Der Himmel war von dem vollendeten, kühlen Blau, das er nur nach einem langen Sommer haben konnte. Die Dächer der Häuser leuchteten rot, die der Kirchen am Pariser Platz kupfergrün. Sie dachte an Paul, und was er ihr vor Jahren gesagt hatte: »Wenn man einen Stein so schleifen könnte, dass er von sich aus strahlt – in allen Farben strahlt wie ein perfekter Oktobertag – dann, glaube ich, wäre ich für einen Augenblick, nur für diesen einen kleinen Augenblick, vollkommen glücklich.«

2
    Es regnete in Strömen. Wenn es bis gestern so ausgesehen hatte, als würde der Herbst vor der Stadt haltmachen, war der Tag heute trotz der noch belaubten Bäume so düster wie im November. Dr. Schambacher saß im Benz auf dem Rücksitz, wartete auf seinen Kollegen Togotzes und fror. Der Fahrer hauchte immer wieder in seine kalten Hände. Die Scheiben des Wagens waren beschlagen, und die Luft innen fühlte sich fast so feucht an wie draußen. Schambacher schlug den Mantelkragen hoch und wischte mit seinem Taschentuch über die Scheiben, aber es nützte beides nichts. Er fror immer noch, und mehr sehen konnte man auch nicht. Togotzes war im Automatenrestaurant und kam nicht wieder. Verständlich. Dort war es vermutlich warm. Schambacher rückte die Fliege zurecht und sah auf die Uhr. Sie hätten eigentlich schon am Nollendorfplatz sein sollen, aber so war Togotzes. Schneidig bleiben. Wenn es drängte, gab er sich bewusst gelassen. Schambacher lächelte kurz und selbstironisch. Eigentlich mochte er ja genau das an Togotzes, aber heute regnete es einfach, und es war kalt. Er öffnete den Schlag einen Spalt und sah über die spiegelnde Straße hinüber zum Restaurant. Schemenhaft konnte er hinter der Scheibe die schlanke Silhouette seines Kollegen sehen. Anscheinend stand er immer noch vor dem Stullenautomaten. Nein. Jetzt kam er. Alle anderen wären bei dem Regen über die Straße zum Auto gerannt, aber Togotzes schlenderte quer über die Chaussee wie bei schönstem Sonnenschein.
    »Wir kommen zu spät«, sagte Schambacher, als sein Kollege in den Wagen stieg. Der hielt ihm ein Paket hin.
    »Leberwurst«, sagte er, »magst du doch, oder? Außerdem bist du erst achtundzwanzig, mein Lieber. ›Zu spät‹ ist in deinem Alter noch keine Kategorie.«
    Schambacher nahm die Stulle und drehte sie hin und her.
    »Du bist nur ein Jahr älter als ich«, sagte er höflich, »und ich mag Leberwurst, aber nicht um halb sieben Uhr morgens, wenn ich vor Dienstbeginn aus dem Bett geklingelt wurde. Warum hast du keinen Kaffee mitgebracht?«
    »Dem Jlücklichen schlägt keene Stunde!«, verkündete Togotzes in breitem Berlinerisch mit vollem Mund. »Und dem Mörder ooch nich. Kaffee war aus.«
    Er klopfte an die Scheibe, und der Wagen fuhr an.
    Schambacher sah dem Schupo zu, wie er krachend schaltete, und wandte sich dann nachdenklich an Togotzes, der sich jetzt der Leberwurststulle seines Kollegen angenommen hatte.
    »Ich frage mich, ob es vielleicht so was wie eine Mordzeit gibt«, sagte er im Plauderton, »so Stunden, in denen die meisten Morde passieren. Zwischen zehn und zwölf Uhr abends vielleicht.«
    »Nee«, sagte Togotzes mit vollem Mund, »jemordet wird ümma.«
    »Werner!«, seufzte Schambacher. »Wir sind doch unter uns. Studiert hast du auch. Kannst du bitte Hochdeutsch mit mir reden und dir das Berlinerische fürs Verhör aufheben? Es ist noch so früh!«
    »Erst ab zehne!«, sagte Togotzes, grinste aber dabei und strich sich ein paar Krümel vom Trenchcoat. Sie passierten den Kurfürstendamm und bogen nach Schöneberg ab. Neben ihnen stiegen die Bögen der Untergrundbahn aus dem Boden. Ein Stück weiter sah man durch den Regen schon die Lichter des Theaters am Nollendorfplatz.
    »Wir sind da«, sagte Togotzes zwei Minuten später und öffnete die Tür schon, bevor der Wagen stand, »kommst du?«
    Schambacher steckte das Notizbuch wieder ein, in dem er hastig die wichtigsten Dinge notiert hatte, zog den Schirm zwischen den Sitzen hervor und stieg auch aus. Beide sahen nach oben. Im ersten Stock des
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