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Der aufrechte Soldat

Der aufrechte Soldat

Titel: Der aufrechte Soldat
Autoren: Brian W. Aldiss
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ein? Ich konnte es nie genau entscheiden, meine Empfindungen beeinträchtigten mein Wahrnehmungsvermögen.
    Ich erinnere mich nur noch, wie ich den Seesack auf die hintere Plattform des Busses schwang und seine Hand ergriff. Die Klingel schrillte. Der Bus riß mich von ihm weg. Er blieb stocksteif stehen, eine Hand winkend erhoben, wie zum Salut, und blickte mir nach. Während ich ihn betrachtete, fielen mir nach und nach all die liebevollen Dinge ein, die ich ihm noch vor wenigen Sekunden hatte sagen wollen.
    Was du auch denken magst, Papa, ich liebe dich, auch wenn du nicht nach London gekommen bist, um mich zu suchen. Ich liebe dich wirklich, und ich werde mich ehrlich bemühen, niemals ein Freudenhaus zu betreten …
     
    Die Kriegszeiten gleichen im wesentlichen den Friedenszeiten; sie sind nichts anderes als eine Phase, in der der Friede eine Krise durchmacht. Im Krieg erlebt jedermann eine Steigerung von Schicksal und Glück. Der weitere Lebensweg hängt davon ab, ob man seinen Namen als letzten auf der Liste »A« oder als ersten auf der Liste »B« findet. Man gewinnt die Überzeugung, daß man mit einer tieferen Absicht, wenn auch wahllos, herumgeschoben wird, wie ein gemischtes Kartenpack in der Hand eines Wahrsagers.
    Von einem wenig einladenden Büro ins nächste waren die Namenslisten in Kriegszeiten ständig auf Wanderschaft. So sicher, wie die Kugel eines Scharfschützen am Ende ihr Ziel fand, würde eine dieser Listen schließlich Eingang in die Wirklichkeit finden und das Schicksal des Wartenden besiegeln. Es war eine dieser Listen, ein besonders tyrannisches Exemplar dieser Gattung, die bestimmte, daß das 1. Bataillon der 2. Royal Mendip Borderers (Kommandeur: Oberstleutnant William Swinton), eines der drei Bataillone der 8. Brigade, Ende Oktober 1943 auf dem Truppentransporter »Ironsides« in Bombay eintraf, um sich mit den anderen Einheiten der 2. Britischen Division zu vereinigen, die bereits in Indien operierten. Eine Unterliste hatte bestimmt, daß auch ich dazu gehören sollte, der ich zusammen mit meinen Kameraden des 2. Zuges, einem von dreien der A-Kompanie, mit großen Augen an der Reling der »Ironsides« lehnte.
    Indien war um Welten vom Vereinigten Königreich entfernt und nur durch einen spärlichen und tröpfelnden Strom von Befehlen und Listen damit verbunden. Bombay war die Verkörperung des Exotischen.
    Lange bevor wir den Hafen von unserem Deck des Truppentransporters aus sehen konnten, konnten wir feststellen, daß wir uns in Landnähe befanden. Das Meer verwandelte sich in viele verschiedene Farben, das Blau des freien Ozeans machte Streifen von Grün, Gelb, Rot und Ocker Platz. Eine flache Küstenlinie tauchte auf. Fremdartige Gerüche wurden vom Wind zu uns getragen, stechend, unbeschreiblich, und sorgten dafür, daß die Haare sich nicht nur vom Schweiß kräuselten.
    Während die »Ironsides« ihren Kurs weiter verfolgte, kamen kleine Handelsboote herausgerudert, um sich an uns heranzumachen, bemannt von Eingeborenen, die begierig darauf waren, den ersten Schuß auf uns abfeuern zu können und sich so ihre Beute zu sichern. Die Boote waren mit Decken und Teppichen und Messingvasen und allen möglichen Ledersachen beladen. Hektisches Feilschen setzte ein, sobald die Händler sich in Hörweite befanden, wobei die Intelligenten der »Ironsides« mit den braunen Gesichtern unten lauthals diskutierten. Wally Page und Dusty Miller fielen wie immer auch dabei auf. Einige meiner Kameraden wurden schon abgekocht, ehe wir auch nur einen Fuß an Land gesetzt hatten.
    Im Umkreis von mehreren Kilometern war das Meer von den dreißig Schiffen unseres Konvois gefleckt. Wir waren acht Wochen vorher in Southampton in See gestochen und hatten unterwegs einen viertägigen Aufenthalt in Durban eingelegt. Die höllische »Ironsides« war zu unserem Zuhause geworden – und das in einem Maße, daß ich sogar eine der Neurosen entwickelt hatte, die das Zuhause fördert: Bis jetzt begierig, endlich von dem verhaßten Schiff mit seinen verhaßten Routinen des Trainings und des Lagerlebens herunterzukommen, hatte ich plötzlich Hemmungen, den Schutz der vertrauten Umgebung zu verlassen.
    An Indien war nichts vertraut. Es raubte einem den Atem. Es wimmelte, lärmte, kochte, brodelte von Menschen. Die Docks waren dicht bepackt mit Kulis; während wir im Gänsemarsch die Gangway hinuntergingen, beladen mit Gewehren und Ausrüstung und Gasmasken und dazu die volle tropische Kluft inklusive
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