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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt
Autoren: Jonas Winner
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jedoch jemals betreten zu haben. Nur die Gefangenen der JVA nebenan, die ihre Arme durch die Gitterstäbe steckten und dem Verkehr auf dem Platz vor ihrem Gefängnis zusahen, hatte Ben oftmals beobachtet.
    »Besucher benutzen den hinteren Eingang, Aufgang N«, stand auf einem Zettel, der an der Tür zu Saal 621 klebte. Aufgang N? Ben lief den Gang weiter, ein paar Stufen hinunter in ein Treppenhaus wie aus einer Steampunk-Oper. Dann sah er ihn. »Aufgang N«. Die Tür war unverschlossen. Er zog sie auf. Eine kleine Treppe führte dahinter zu einer weiteren Tür.
     
    »Beim Frühstück?«
    »Ja. Das hatten wir auch in den vergangenen Tagen und Wochen so gemacht.«
    Gebückt, um die Zuschauer im hinteren Bereich des Saals, in den er durch die Tür gelangt war, nicht zu stören, huschte Ben zwischen den Sitzreihen hindurch, während die Frau weitersprach.
    »Ich hatte mich da nicht ausschließen wollen. Julian, also Herr Götz, frühstückte jeden Morgen mit meiner Schwester Christine, den beiden Kindern und dem Au-pair-Mädchen Hanna Lenz. Ich hatte mir angewöhnt, daran teilzunehmen. Danach brachte Hanna die Kinder in die Schule, und mein Schwager fuhr ins Büro.«
    Kurz vor der Wand war noch ein Platz frei. Ben setzte sich.
    Die Verhandlung war bereits in vollem Gang.
    »Sind Sie mit Herrn Götz zusammen ins Büro gefahren?«
    »An dem Tag ja, meistens hatte Julian aber noch andere Termine, dann habe ich die öffentlichen Verkehrsmittel genommen.«
    Der Richter ließ seine Augen auf der jungen Frau ruhen, die im Zeugenstand Platz genommen hatte.
    »Ist Ihnen auf dieser Fahrt etwas Besonderes aufgefallen, Frau Voss?«
    »Nein.«
    »Ist Ihnen beim Frühstück etwas aufgefallen?«
    »… das darauf hingedeutet hätte, dass … etwas passieren würde?«
    »Egal was, etwas, das Ihnen, wenn Sie jetzt wieder darüber nachdenken, auffällig vorkommt.«
    »Nein … nein …«
    »Wie würden Sie denn das Verhältnis zwischen Herrn Götz und Ihrer Schwester Christine beschreiben, Frau Voss?«
    »Gut. Ich habe sie eigentlich fast immer nett miteinander umgehen sehen.«
    »Fast immer?«
    »Nein, meistens … also immer, eigentlich.«
    »Eben sagten Sie ›fast immer‹.«
    »Ja, gut … ich … wissen Sie, ich hatte zu der Zeit bereits knapp drei Monate bei ihnen gelebt … da ist nicht alles immer Sonnenschein. Ich erinnere mich, einmal hat Christine …« Die Zeugin stockte einen Augenblick, gab sich dann aber einen Ruck. »… mir gegenüber erwähnt, dass sie sich wünschte, Julian würde mehr zu Hause sein. An dem Abend ist es wohl zwischen den beiden auch zu einem Streit gekommen, ich habe ihre Stimmen gehört. Aber das war sicherlich vier oder fünf Wochen vor dem 25 . September. Und am nächsten Morgen war wieder alles wie immer, keine Verstimmung, nichts.«
    Bens Blick schweifte durch den Gerichtssaal. Auf beiden Seiten neben dem Richter mit dem grauen Stoppelhaarschnitt, der die Fragen stellte, saßen weitere, in schwarze Roben gehüllte Amtspersonen, die zum Teil selbst den Blick durch den Saal wandern ließen, zum Teil der Zeugin ins Gesicht schauten. Rechts unterhalb der Richterbank stand ein weiterer Tisch, an dem zwei Männer saßen, die Ben für den Staatsanwalt und einen Nebenkläger oder für Sachverständige hielt. Ihnen gegenüber stützte sich ein Mann auf einem parallel postierten Tisch auf. Neben ihm saß eine Frau, beide in schwarzen Roben. Da sie etwas weniger steif wirkten als die anderen Amtspersonen, hielt Ben die beiden für die Verteidiger. Hinter ihnen erhob sich eine Holzbrüstung, von der er zunächst glaubte, dass sich niemand dahinter befand, doch dann fiel ihm auf, dass sich eine Gestalt dort zusammengekauert haben musste, denn hin und wieder konnte er einen Rücken hinter der Holzbrüstung hervorschauen sehen.
    »Am Abend erhielten Sie also einen Anruf von dem Au-pair-Mädchen Hanna Lenz.« Der Richter setzte seine Befragung fort.
    »Ja. Ich habe später auf meinem Handy nachgesehen. Hanna hat mich um 0  Uhr  33 angerufen. Sie war vollkommen außer sich.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Ich … ich erinnere mich jetzt nicht mehr genau an ihre Worte. Aber … Haben das die Polizisten, die mich vernommen haben, nicht bereits aufgeschrieben?«
    Der Richter blickte auf den Bildschirm, der vor ihm stand, klickte mit der Maus in das aufgerufene Menü. »Ja … natürlich, das ist in dem Protokoll vom 26.9 . verzeichnet. Sie müssen sich auch nicht an jedes einzelne Wort erinnern, Frau
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