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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt
Autoren: Jonas Winner
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Voss, ich wollte mir nur noch einmal den groben Ablauf der Ereignisse vergegenwärtigen.«
    »Sie sagte so etwas wie ›Du musst sofort kommen, Sophie, es ist etwas Entsetzliches passiert‹.«
    »Zu diesem Zeitpunkt wollten Sie die Party, auf der Sie waren, bereits wieder verlassen?«
    »Ich hatte mir schon vorgenommen zu gehen, ja, aber ich hatte mich noch nicht verabschiedet. Das habe ich nach dem Gespräch mit Hanna sofort getan.«
    »Um 0  Uhr  33 waren Sie also noch auf der Party.«
    Ben hatte den Eindruck, die Zeugin würde kurz zusammenfahren. Als sie antwortete, war ihre Stimme jedoch fest. »Ja. Ich bin … ich weiß es nicht genau … gegen kurz vor eins in der Villa angekommen. Ich war durch Hannas Anruf sehr erschrocken und hatte mir ein Taxi genommen.«
    »Wie ging es in der Villa weiter?«
    »Hanna kam mir unten entgegen, sie muss gehört haben, dass das Taxi vorfuhr. Als ich sie sah, wusste ich sofort, dass etwas … Ich musste irgendwie denken, dass etwas passiert war, das mein Leben verändern würde.«
    »Sie sind dann mit Frau Lenz ins Haus gegangen.«
    »Sie redete unaufhörlich. Dass ich nicht erschrecken sollte, dass ich mich zusammennehmen müsste – dabei vermied sie es jedoch zu sagen, was genau passiert war. Als ich dann das Blut an der Treppe sah, ahnte ich bereits etwas, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Es war wie ein Rauschen, als würde mein Blut – ich weiß nicht – in den Ohren …« Sie brach ab.
    »Erzählen Sie uns bitte, was Sie gesehen haben.«
    »Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Ich bin rein –« Sie brach wieder ab. Ben sah, wie sich der Kopf der jungen Frau auf ihre Brust neigte. Ihr Leib zitterte etwas, er konnte sie schluchzen hören.
    Im Gerichtssaal war es still. Die Robenträger neben dem Richter sahen die Zeugin jetzt nicht mehr an. Ben warf einen Blick zur Seite. Die Zuschauer, die mit ihm auf den beiden Bänken hinter der Schranke saßen, schienen die Luft anzuhalten.
    »… es war Christine«, schwebte die Stimme der Zeugin durch den Saal. »Meine Schwester war … es war alles voll Blut.«
    »Ja.«
    »Hanna stand in der Tür zum Schlafzimmer. Die Kinder – sie sagte ›die Kinder‹, weiter kam sie nicht. Ich hatte das Gefühl, als würden meine Beine wegsacken. ›Hast du die Polizei gerufen?‹, habe ich sie gefragt. ›Nein, noch nicht.‹ Ich weiß nicht, warum sie es noch nicht getan hatte. Vielleicht hatte sie das Gefühl, erst jemanden aus der Familie sprechen zu wollen … Später hat sie mir gesagt, dass sie versucht hatte, Julian zu erreichen, ihm aber nur auf die Mailbox sprechen konnte. Nachdem mir klar war, dass sie noch niemanden alarmiert hatte, habe ich mein Handy genommen und 110 gewählt.«
    »Was ist dann geschehen?«
    »Ich … ich weiß es nicht mehr genau.«
    »Haben Sie gewartet, bis die Polizeibeamten da waren, oder sind Sie vor deren Ankunft bereits in die Kinderzimmer gegangen, Frau Voss?«
    »Vorher.«
    »In beide Zimmer?«
    »Ja. Erst zu Svenja, dann zu Pia.« Sophie Voss hatte den Arm auf den Tisch gestützt, der vor ihr stand, und hielt sich die Stirn.
    »Haben Sie versucht, sie wiederzubeleben. Haben Sie etwas berührt, verändert?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wann haben Sie Herrn Götz an dem Abend gesehen, Frau Voss?«
    »Spät. Da war die Polizei bereits im Haus.«
    Sie sah zu der Holzbrüstung, vor der die Anwälte saßen. Wie magnetisch wurde auch Bens Blick wieder dorthin gezogen – und mit einem Mal wurde ihm klar, wer sich dahinter befinden musste. Der Angeklagte! Plötzlich hatte Ben das Gefühl, als würde etwas an seinem Knochenmark ziehen, saugen, nagen. Erst jetzt spürte er, wie sehr die Person, die sich hinter der Holzbrüstung zusammengekauert hatte, alles dominierte, was im Saal gesagt, gedacht und verhandelt wurde. Dass der gesamte Prozess um diese Person kreiste, die sich vor den Blicken der Anwesenden regelrecht verkrochen zu haben schien.
    ›Er hat seine Kinder … erschlagen‹, wollte Ben sich sagen, doch es kam ihm so ungeheuerlich vor, dass er es nicht einmal innerlich auszusprechen wagte.
    »Hat noch jemand Fragen?« Der Richter beugte sich leicht nach vorn und warf den anderen Amtspersonen, die neben ihm saßen, einen Blick zu. Da keiner reagierte, schaute er zu den Robenträgern an den beiden Bänken, die weiter unten standen. Ben bemerkte, wie der Verteidiger, ein hagerer Mann mit scharf geschnittenem Gesicht und auffallenden Koteletten, kurz den Finger
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