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Lord Camerons Versuchung

Lord Camerons Versuchung

Titel: Lord Camerons Versuchung
Autoren: Jennifer Ashley
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1
    Schottland, September 1882
    Ich habe doch gesehen, dass sie den Brief in Lord Camerons Tasche gesteckt hat. Sie hat es direkt vor meinen Augen getan. Dieses durchtriebene Frauenzimmer.
    Ainsley Douglas kniete in Lord Cameron MacKenzies Ankleidezimmer vor dem geöffneten Wäscheschrank und durchsuchte ihn.
    Warum hatte sich Mrs Chase ausgerechnet Cameron MacKenzie ausgesucht? Ob sie etwas wusste? Ainsleys Herz schlug heftiger, bis es sich wieder beruhigte. Nein, Phyllida Chase konnte nichts wissen. Niemand wusste etwas. Cameron hatte gewiss über jenen Vorfall geschwiegen, der jetzt sechs Jahre zurücklag. Hätte er es nicht für sich behalten, wäre Ainsley das Gerede in Windeseile zu Ohren gekommen. So verhielt es sich nun einmal mit Gesellschaftsklatsch.
    Doch dieser Gedanke beruhigte Ainsley nur unwesentlich. Sie hatte den Brief der Königin in keiner der Jacken im Ankleidezimmer gefunden. Und im Wäscheschrank war sie bislang auch nur auf akkurat gefaltete Hemden, in Schachteln verwahrte Kragen und durch Seidenpapier sorgsam voneinander getrennte Krawatten gestoßen. Feinster Batist und weichste Seide – nur die kostbarsten Stoffe für einen vermögenden Mann.
    Hastig durchsuchte Ainsley Fach um Fach des Schrankes, aber nirgendwo fand sie den Brief, der vielleicht zwischen die Hemden gerutscht oder achtlos in eine Tasche gesteckt worden war. Der Kammerdiener hatte vermutlich die Taschen Lord Camerons durchgesehen und das herrenlose Stück Papier an sich genommen, entweder um es ihm später zu geben oder es irgendwo sicher zu verwahren. Oder Cameron hatte den Brief bereits gefunden, hatte ihn als weibliche Gefühlsduselei abgetan und ihn verbrannt. Ainsley betete inbrünstig, dass er Letzteres getan hatte.
    Nicht dass sich Ainsleys Dilemma damit gänzlich gelöst hätte. Denn Phyllida Chase, diese schreckliche Person, hatte irgendwo noch weitere Briefe der Königin versteckt. Und der königliche Auftrag hatte gelautet: Holen Sie die Briefe zurück, Ainsley, koste es, was es wolle.
    Ein unmittelbarer Teil jener Kosten war Ainsley durch das taubengraue Ballkleid entstanden, das sie heute trug: das erste neue Kleid seit Jahren, das nicht schwarz war. Darüber, was dieser Auftrag jetzt zudem ihre Knie kostete, ihren Rücken und ihre Nerven, darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.
    Ihre Nerven wurden noch stärker strapaziert, als hinter ihr die Zimmertür geöffnet wurde.
    Ainsley zog sich rasch von dem Schrank zurück und wandte sich um. Vermutlich hatte Lord Camerons Kammerdiener das Zimmer betreten. Er stammte von Landfahrern ab und wirkte recht einschüchternd. Doch die nur halb geöffnete Zimmertür versperrte ihr die Sicht auf denjenigen, der sie aufgestoßen hatte. Dass die Tür nicht ganz geöffnet worden war, verschaffte Ainsley einige Sekunden Zeit, ihren nächsten Schritt zu überdenken.
    Verstecken
. Aber wo? Das Ankleidezimmer lag gegenüber der Längsseite des Zimmers, und es war viel zu eng als Versteck für eine Frau in einem Ballkleid. Unter dem Bett? Nein, sie würde es niemals rechtzeitig bis dorthin schaffen und sich darunterquetschen können.
    Aber das Fenster mit seiner breiten Bank befand sich nur zwei Schritte von ihr entfernt. Ainsley stürzte dorthin, kauerte sich auf die Fensterbank, raffte ihre Röcke um sich und riss die Vorhänge zu.
    Gerade noch rechtzeitig. Durch den Spalt in den Vorhängen sah sie Lord Cameron persönlich rückwärts das Zimmer betreten, zusammen mit Phyllida Chase, einst Kammerfrau der Königin, die sich eng an ihn schmiegte, geradezu an seinem Hals hing.
    Dass ihr plötzlich das Herz brannte, überraschte Ainsley. Sie wusste seit Wochen, dass Phyllida ihre Krallen in Cameron MacKenzie geschlagen hatte. Aber warum hätte Ainsley das interessieren sollen? Schließlich war Phyllida genau die Art von Frau, die Lord Cameron bevorzugte: schön und erfahren und an ihrem Ehemann nicht interessiert. Andererseits entsprach Cameron genau dem, was Phyllida an einem Mann gefiel: Er war reich, er war attraktiv, und er befand sich ganz gewiss nicht auf der Suche nach einer tieferen Bindung. Die beiden passten hervorragend zueinander. Was ging Ainsley also die ganze Sache an?
    Dennoch wurde ihr plötzlich die Kehle eng, als Lord Cameron mit einer Hand die Tür schloss und die andere auf Phyllidas Hinterteil legte. Phyllida schlang die Arme um ihn, während Cameron sich hinunterbeugte und Küsse auf ihren Nacken drückte.
    Es lag Begehren in dieser Umarmung, schamloses und
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