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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag
Autoren: Stephen King
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war … wie ein bestimmter jovialer Trainer, den ich in einem anderen Leben gekannt hatte. Mit meinen alten Freunden in Lisbon Falls blieb ich noch einige Zeit in Kontakt, dann brach er ab. C’est la vie.
    Ich blätterte noch einmal im Archiv der Dallas Morning News und entdeckte eine kurze Meldung vom 29. Mai 1963: BIBLIO THEKARIN AUS JODIE VERLÄSST KRANKENHAUS. Der Bericht war kurz und wenig informativ. Nichts über ihren Gesundheitszustand, nichts über ihre Zukunftspläne. Und kein Foto. Die auf Seite 20 zwischen Anzeigen von Möbeldiscountern und Jobs für Klinkenputzer versteckten Kurzmeldungen sind nie bebildert. Das gehört zu den großen Binsenwahrheiten des Lebens, genau wie das Telefon immer dann klingelt, wenn man auf dem Klo oder unter der Dusche ist.
    In dem Jahr nach meiner Rückkehr ins Land des Jetzt gab es einige Websites und bestimmte Themen, um die ich einen Bogen machte. War ich in Versuchung? Natürlich. Aber das Internet ist ein zweischneidiges Schwert. Für jede tröstliche Entdeckung – zum Beispiel dass die Frau, die man liebt, ihren verrückten Exmann überlebt hat – gibt es zwei, die einen verletzen können. Wer Nachrichten über eine bestimmte Person sucht, entdeckt vielleicht, dass diese Person bei einem Verkehrsunfall umgekommen ist. Oder als Raucherin an Lungenkrebs gestorben. Oder Selbstmord verübt hat, im Falle dieser einen bestimmten Person wahrscheinlich mit einer Kombination aus Alkohol und Schlaftabletten.
    Sadie allein zu Hause, ohne jemand, der sie mit Ohrfeigen wach hält und unter die kalte Dusche stellt. Falls das passiert war, wollte ich es nicht wissen.
    Ich nutzte das Internet, um meinen Unterricht vorzubereiten, ich nutzte es, um zu sehen, was wo im Kino läuft, und ein- bis zweimal in der Woche zog ich mir die neuesten Webvideos rein. Was ich nicht tat, war, Meldungen über Sadie zu suchen. Hätte es in Jodie eine Zeitung gegeben, wäre ich bestimmt versucht gewesen, aber es hatte damals keine gegeben, und heute würde es erst recht keine geben, weil ebendieses Internet die Printmedien allmählich erdrosselte. Außerdem erinnerte ich mich an ein altes Sprichwort: Guck durch kein Schlüsselloch, dann wirst du nicht geängstigt. Hat es in der Geschichte der Menschheit je ein größeres Schlüsselloch als das Internet gegeben?
    Sadie hatte Clayton überlebt. Bestimmt wäre es am besten, sagte ich mir, mein Wissen über Sadie damit enden zu lassen.
    5
    Dabei hätte es bleiben können, wäre in meinen Leistungskurs Englisch nicht eine neue Schülerin gekommen. Das war im April 2012; vielleicht sogar am 10. April, dem 49. Jahrestag des versuchten Anschlags auf General Edwin Walker. Sie hieß Erin Tolliver, und ihre Familie war aus Kileen, Texas, nach Westborough gezogen.
    Das war ein Ortsname, den ich gut kannte. Kileen, wo ich bei dem Drogisten mit dem hässlichen wissenden Grinsen Kondome gekauft hatte. Tun Sie nichts Ungesetzliches, mein Sohn, hatte er mich ermahnt. Kileen, wo Sadie und ich viele, viele süße Nächte in den Candlewood Bungalows verbracht hatten.
    Kileen, wo es die Zeitung The Weekly Gazette gab.
    In ihrer zweiten Unterrichtswoche – meine neue Leistungskursschülerin hatte inzwischen mehrere neue Freundinnen gefunden, mehreren Jungen den Kopf verdreht und sich recht gut eingewöhnt – fragte ich Erin, ob die Weekly Gazette noch erscheine. Das ließ sie strahlen. »Sie kennen Kileen, Mr. Epping?«
    »Ich war mal vor langer Zeit dort«, sagte ich – eine Aussage, die eine Lügendetektornadel nicht einmal leicht hätte ausschlagen lassen.
    »Die gibt es noch. Mama hat immer gesagt, dass sie nur dazu taugt, um Fisch darin einzuwickeln.«
    »Bringt sie immer noch die Kolumne ›Lokales aus Jodie‹?«
    »Sie berichtet über Lokales aus jeder Kleinstadt südlich von Dallas«, sagte Erin kichernd. »Ich wette, Sie könnten sie im Internet finden, wenn Sie wirklich wollten, Mr. Epping. Alles ist im Internet.«
    Damit hatte sie absolut recht, und ich hielt noch genau eine Woche lang durch. Manchmal war das Schlüsselloch einfach zu verlockend.
    6
    Meine Absicht war einfach: Ich würde das Archiv aufrufen (vorausgesetzt, dass die Weekly Gazette eines hatte) und Sadies Namen eingeben. Mein Verstand riet mir davon ab, aber Erin Tolliver hatte unabsichtlich Gefühle geweckt, die zu erkalten begonnen hatten, und ich wusste, dass ich keine Ruhe finden würde, bis ich selbst nachgesehen hatte. Wie sich herausstellte, war das Archiv überflüssig. Was ich suchte,
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