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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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mehr als staunen. Aber nun entschuldigen Sie mich bitte wieder. Meine Frau kommt gleich von der Arbeit und dann wollen wir mit unseren Jungs etwas essen.
    Er öffnete die Augen und sah zur Decke hinauf. Ob seine Frau und die Kinder wohl auch so viel an ihn dachten wie er an sie? Wo mochten sie gerade sein? Saßen sie vielleicht in einem Zug an einem kleinen Tisch? Sprachen sie über ihn? Vielleicht beugte sich seine Frau, just in diesem Moment, mit ernstem Gesicht über den Tisch zu den Kindern vor. Wisst ihr, Kinder, euer Vater ist deshalb so schwierig derzeit, so freudlos und unnahbar, weil er sich schämt. Er schämt sich wie jemand, der ein Geschenk, kurz bevor er es überreichen wollte, aus Unachtsamkeit verloren hat. Er hat dieses Geschenk aber nicht im Park verloren und auch nicht in der Wohnung, weder ist es ihm aus der Tasche gefallen, noch hat er es verlegt, sondern er hat es in sich verloren. Deshalb ist er auch immer so abwesend. Tag und Nacht gräbt er in sich herum. Ihr glaubt gar nicht, Kinder, was für eine Finsternis in eurem Vater herrscht und wie fast unmöglich es ist, dort in den Tiefen etwas aufzustöbern. Aber da euer Vater ein fleißiger Maulwurf ist, wird er auch wieder auffinden, was er verloren hat, und an diesem Tag wird euer Vater sich wie von den Toten aus seinem Bett erheben und euch mit munterer Stimme zu sich rufen, denn das, was er euch dann zeigen möchte, ist seine Lebensfreude. Seid aber gewarnt, Kinder. Euer Vater ist bisweilen ein Komödiant und macht sich einen Spaß daraus, euch etwas zu präsentieren, was er nicht besitzt. Ihr seht es an seinem Gesicht und spürt es an seiner Umarmung. Ist die Umarmung sperrig, sein Gesicht starr und sein Blick, statt zu euch, mehr in sich gerichtet, dann schickt ihn schnell wieder in sein Zimmer, bevor er noch ein Unglück über euch bringen kann.
    Er atmete tief durch. Müsste er seiner Frau nicht sagen, dass ihm der gestrige Abend leidtat? Müsste er ihr nicht sagen, dass er gern mal wieder mit ihr in den Wald gehen würde, um Pilze zu sammeln, dass es ihm eine Freude wäre, mit ihr eine Rodeoshow zu besuchen? Müsste er ihr nicht sagen, dass er sie, nach seinem nächsten Einkauf, mit einem Glas Ingwermarmelade überraschen wolle und dass der Wirsingeintopf, den sie am letzten Wochenende gekocht hatte, ihm gut geschmeckt habe oder zumindest besser als der Eindruck, den sein Schweigen erweckt haben mochte? Müsste er ihr nicht sagen, dass er keine Angst davor hätte, mit ihr in eine kleinere Wohnung zu ziehen, dass allein ihre Anwesenheit jeden Raum in einen prächtigen Saal verwandelte? Müsste er ihr nicht sagen, dass er vor ein paar Tagen, in einem nahen Geschäft, eine schöne Vase entdeckt hatte und dass sie mal wieder eine Fahrradtour unternehmen sollten? Müsste er ihr nicht sagen, dass sie sich irgendwann darüber zu unterhalten hätten, ob sie sich, wenn der Hund in ein paar Jahren stürbe, stattdessen eine Handvoll Mäuse anschaffen sollten?
    Er richtete sich auf. Konnte es wirklich sein, dass eine Maus, wie seine Tochter vor ein paar Tagen nicht müde geworden war zu berichten, tatsächlich nur einen Euro und fünfzig Cent kostete? Das war doch wirklich erschwinglich! Warum kauften zu diesem Preis nicht viel mehr Menschen Mäuse und warum kam auch er erst jetzt auf die Idee, die Familie am nächsten Wochenende auf ein paar Mäuse einzuladen? Wäre das nicht eine gelungene Wiedergutmachung? Hätte er dann nicht wenigstens die Kinder für sich zurückgewonnen? Oder hatten die Kinder ihn schon aus ihrem Kopf gestrichen? Würden die Kinder, wenn er, den Hund an der Leine, vom gegenüberliegenden Bürgersteig aus beobachtete, wie sie das Schulgelände verließen, sobald auch sie ihn erblickten, sich scheu abwenden, als hätten sie gerade etwas Verbotenes erschaut? Würden die Kinder, vom kommenden Montag ab, sobald sie das Schulgebäude verließen, von mehreren großen, bemäntelten Männern abgeschirmt, in eine dunkle Limousine steigen müssen, die sie von nun an täglich an einen ihm für immer unbekannten Ort bringen würde? Und wie würde er sich über diesen Verlust hinweghelfen? Würde er sich nicht gerade deshalb am nächsten Wochenende trotzdem diese Mäuse kaufen, vier Stück sechs Euro? Würde er sich nicht gerade jetzt, nach der schlimmen Erfahrung der letzten Monate, mit aller Liebe und Sorgfalt um diese Mäuse kümmern und alles dafür tun, ihnen ein artgerechtes Leben in ihrem Käfig zu ermöglichen? Wären ihm diese
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