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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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hatte, gleich am ersten Arbeitstag gelungen, der Geschichte einen festen Boden zu verleihen? Er hatte das doch bereits alles in seinen Notizbüchern fixiert. War es nicht zum Beispiel so, dass der Hund, der die Briefe schrieb, weil er nie eine Antwort bekam, von Tag zu Tag trauriger wurde, sogar die Lust an seinen Spaziergängen verlor und bald nur noch mit stumpfem Blick in seinem Körbchen saß, und war es nicht eine nahezu brillante Idee, dass nun das Herrchen des Hundes, welches durch einen Zufall den Grund für diese rätselhafte Traurigkeit aufgespürt hatte, sich dieser nun annahm und in langen Nächten still und heimlich und der Glaubwürdigkeit wegen unter Auslassung jeder orthographischen Regel mit der linken ungeschickten Hand zärtliche Antwortbriefe verfasste? Konnte man nicht diese ganze Konstruktion, die ihm Anfang März sogleich am ersten Arbeitstag so plastisch und strotzend und überdeutlich vor Augen erschienen war, als einen Einfall bezeichnen?
    Er sank auf das Kissen zurück. Woher hatte er Anfang März nur die Kraft für diesen Einfall genommen? Woher hatte er in diesen Märzwochen die Zuversicht genommen, dass sich dieser Einfall nicht gleich, nach einigen Tagen, als Luftgebilde herausstellen würde? Lag es an der Unschuld dieses Einfalls? Lag es daran, dass dieser Einfall schon bald von Dutzenden kleiner Ideen in seinem Notizbuch umrankt wurde? Lag es daran, dass ihm die ersten beiden Briefe des Hundes, nach wenigen Tagen schon, wie von selbst und völlig mühelos in sein Notizbuch geraten waren? Was hatte ihm in diesen Märzwochen diese Leichtigkeit verliehen!
    Er drehte den Kopf und sah zur Tür hin, die ins Wohnzimmer führte. War es wirklich allein der Einfall, der das triumphale Glück dieser Märztage ausgelöst hatte? War es nicht mindestens ebenso das Gefühl, ihm sei eine Rechtfertigung widerfahren, eine Rechtfertigung für all die traurigen Monate davor, als hätte er insgeheim in all den traurigen Monaten davor nur für diesen Moment Anlauf genommen? So zäh und unwert war ihm die Zeit vor diesen Märzwochen dahingeflossen, wie sie ihm auch jetzt wieder dahinfloss, und dann, mit einem Mal, hatte er sich wach und erholt und voller Tatendrang aus seinem muffigen Bett erhoben. Wie hatte er das nur vollbracht! Das war ja fast eine Auferstehung gewesen. Den Kindern war er plötzlich fröhlich und gut gelaunt begegnet, seiner Frau hatte er immer wieder ein versonnenes Schmunzeln entlocken können, und selbst der Hund hatte mit einer ständigen, freudigen Erregtheit zu ihm hinaufgesehen. Wie ein Äffchen, das Tag und Nacht und voller Überschwang nur in den höchsten Ästen turnt, so hatte auch er sich in diesen Märzwochen emporgeschwungen. Von einem klagenden Menschen hatte er sich zu einem bejahenden Menschen emporgeschwungen, von einem verzagenden zu einem zupackenden, von einem betulichen zu einem erbaulichen, von einem müden zu einem wachen, von einem apathischen Menschen zu einem lebhaften Menschen, von einem gelangweilten zu einem neugierigen, von einem lustlosen zu einem lustvollen, von einem tragischen zu einem komödiantischen, von einem ungeliebten zu einem geliebten, von einem uneitlen Menschen hatte er sich zu einem eitlen Menschen emporgeschwungen, der pfauengleich durch die Straßen lief und in blumigen Worten überall und laut verkündete, er arbeite gerade an einem Kinderbuch über einen Hund, der Briefe schrieb.
    Er wandte den Kopf zurück und sah zur Decke hinauf. Warum nur hatte er die Arbeit an diesem Buch so bald wieder aufgegeben? Die Kinder hatten ihm doch, als er sie eines Abends stolz und aufgeregt um sich sammelte und ihnen die ersten beiden Briefe vorlas, lang anhaltend applaudiert. Weiter so, Papa! Selbst der erste Besuch der Dame von der Hausverwaltung, der in diese Märzwochen fiel, war von ihm abgeperlt, ganz so, als hätte er durch die Arbeit an dem Buch ein schützendes Häuschen um sich errichtet, aus dem er fernab der Wirklichkeit und nur aus reiner Neugier den Gang der laufenden Ereignisse verfolgte. Hatte seine Frau ihm das nicht sogar vorgeworfen? Hatte sie ihm nicht vorgeworfen, dass er, anstatt sich zumindest ein wenig ihrer schwierigen Wohnungssituation zu stellen, ausschließlich in sein Buch zurückziehe? Es gefällt mir ja, dass du an deinem Buch arbeitest, aber das ändert nichts daran, dass einer von uns nächsten Donnerstag bei der Mieterberatung vorstellig werden muss, und ich bin leider wieder bei der Arbeit.
    Er schloss die Augen.
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