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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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stöhnte er auf. Dann öffnete er die Augen, und während er jetzt bereits eine Weile tumb zur Decke hinaufgestarrt hatte, sah er sich plötzlich an jenem sonnigen Frühlingstag, den Stift noch in der Hand, aus seinem Arbeitszimmer in das Wohnzimmer treten, in das seine Frau ihn, durch die Tür, mit dringender Stimme zu sich beordert hatte. »Da musst du jetzt hin!«, hatte sie ihm, kaum dass er im Raum war, mit barscher Bestimmtheit entgegengeschmettert. »Wohin denn?«, hatte er gefragt. »Zu den Eltern von Ali«, hatte seine Frau geantwortet. »Welcher Ali?«, hatte er gefragt und einen Blick zu seinem Sohn geworfen, der mit hochgezogenen Beinen, den Kopf gegen das Knie gelehnt, auf dem Sessel mit den Tränen kämpfte. »Du weißt schon, welcher Ali. Der Ali aus der Schule!«
    Er senkte den Blick in den Raum hinab und legte sich die Hand auf die Stirn. Wann war das eigentlich gewesen? Die Sonne wärmte bereits wie im April. War er nicht sogar am darauffolgenden Tag erstmalig bei der Mieterberatung vorstellig geworden, und warum war seine Frau ausgerechnet an diesem Nachmittag zu Hause geblieben? Es konnte sich unmöglich um ein Wochenende gehandelt haben, schließlich war sein Sohn auf dem Rückweg von der Schule angegriffen worden. Die Mutter eines Kindes aus der Klasse ihrer Tochter hatte bei ihnen angerufen. Sie hatte gesehen, wie ihr Sohn auf der Straße von Ali und einem anderen Jungen erst abgefangen und bespuckt und dann ins Gesicht geschlagen worden war. »War es denn wirklich Ali?« Diese Frage hatte er an seinen Sohn gerichtet. »Natürlich war es Ali!«, hatte seine Frau gerufen, und obwohl sein Sohn ihm die Frage weder bestätigen noch verneinen wollte, hatte er daran auch nicht den geringsten Zweifel gehegt. Ali war das bekannteste Kind der ganzen Schule. Pausenlos sprachen alle Eltern über ihn. Im ganzen Bezirk war Ali immerzu Tagesthema. Bereits drei Mal war er von der Polizei aus der Schule abgeholt worden. Zwei Mal, weil er ein anderes Kind fast krankenhausreif geprügelt hatte, das dritte Mal, weil er einer Lehrerin mehrfach gedroht hatte, sie abzustechen. Wie sich später jedoch herausstellte, hatte er gar kein Messer dabei. »Ich halte es für keine gute Idee, zu Alis Eltern zu gehen.« Warum hatte er damals, an diesem sonnigen Frühlingstag, diesen Satz nicht besser begründet? Oder hatte ihm seine Frau vielleicht gar keine Zeit für eine Begründung gelassen? Es war ja gar nicht lang her gewesen, dass er sich im Park mit einem Vater unterhalten hatte, dessen Sohn eine ganz ähnliche Erfahrung mit Ali machen musste und der Alis Eltern daraufhin tatsächlich aufgesucht hatte. Von dem guten Gebäck, das es bei Alis Eltern gab, hatte dieser Vater geschwärmt und dass er zu Beginn des Gespräches Alis Vater hoch und heilig das Versprechen abgenommen habe, Ali wegen dieser Sache nicht zu bestrafen, sondern ihm nur sanft ins Gewissen zu reden. Trotzdem, so war der Vater fortgefahren, fehlte Ali die ganze darauffolgende Woche in der Schule. Den Sportunterricht, das sei ja bekannt, verweigere Ali deswegen, weil er immer mit blauen Flecken übersät sei. »Du hältst es ja nie für eine gute Idee, etwas zu tun, was dir unangenehm ist!« »Aber ich gehe doch morgen schon zur Mieterberatung.« Hatte er das wirklich gesagt und was war es nur für ein Pech, dass seine Frau ausgerechnet an diesem Tag frei genommen hatte. Oder war sie krank und deshalb so gereizt? »Zur Mieterberatung! Puh, da hat der Herr ja richtig viel vor sich. Einen Termin pro Woche, da kann man schon mal außer Atem kommen.«
    Er schüttelte den Kopf. Weder hatte seine Frau so zu ihm zu gesprochen, noch würde sie jemals so zu ihm sprechen. Nur war sie an diesem Tag von dem Entschluss, man müsse jetzt sofort mit Alis Eltern sprechen, nicht mehr abzubringen. »Das kann doch nicht so weitergehen. Dieser Junge kann doch nicht einfach einem meiner Kinder ins Gesicht schlagen. Ich will doch nicht immerzu ein schlechtes Gefühl haben, sobald die Kinder draußen auf der Straße sind.«
    Er schloss die Augen. Natürlich hatte seine Frau mit jedem einzelnen dieser Sätze recht. Es gab auch nichts an diesem Vorfall, was sich auf irgendeine Art und Weise beschönigen ließ. Allerdings wäre dieser Vorfall niemals ans Tageslicht gekommen, wenn die andere Mutter diesen Vorfall nicht beobachtet und bei ihnen angerufen hätte. Nicht das Geringste hatte sich sein Sohn anmerken lassen, als er an diesem Nachmittag nach Hause gekommen war. Erst als er
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