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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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Vielleicht hätte er noch mehr Termine verstreichen lassen müssen. Vielleicht hätte ihn das Wohnungsproblem niemals eingeholt, wenn er sich ihm gar nicht erst gestellt hätte. Nach der ersten Mieterberatung war er doch bereits wie von dem Wohnungsproblem verschluckt. Keine einzige Sekunde hatte er seitdem an dem Buch weitergearbeitet, kein einziges Mal mehr die bisherigen Seiten überflogen. War der letzte Gedanke, den er an das Buch verwendet hatte, nicht der gewesen, dass der Hund, wie von einer schlimmen Krankheit angefasst, von Tag zu Tag schwächer wurde, weil er sich, aus Angst davor, einzubrechen, nicht mehr in die Küche an sein Näpfchen wagte?
    Er öffnete die Augen. War das Buch daran gescheitert, dass er es ihrer schwierigen Wohnungssituation nicht anpassen konnte? Hatte er das Buch womöglich von Anfang an in einen viel zu engen Rahmen gefasst? War es womöglich sogar falsch, das Ganze von vornherein als Kinderbuch anzulegen? Hatte er sich dadurch nicht alles verbaut und sich selbst in einen Käfig gesperrt? Statt immer nur zwanghaft lustig seine stupiden Missgeschicke zu schildern, hätte er den Hund doch mindestens ebenso notwendig über seine Ängste und Albträume sprechen lassen können, über seine Beziehungs- und Identitätskrisen. Und warum hatte er sich überhaupt zum Verfasser dieser Briefe einen Hund auserkoren? Wagte er sich nicht mehr an Menschen heran? Sollte nicht sogar einer der Grundpfeiler des Buches darauf beruhen, dass derjenige, der seinem Hund die Briefe beantwortete, sein Herrchen also, um sich besser in diese Briefe einzufinden, selbst wie ein Hund zu betragen begann? War nicht ebenfalls geplant, dass dieses Herrchen nicht nur großen Gefallen an der hündischen Daseinsweise fand, sondern sie bald auch schon offen auslebte und sich aus dieser Verwandlung heraus, die sich mit ihm vollzog, die täglich sich verschärfenden Konflikte mit seiner Frau ableiteten, über die der junge Leser wiederum aus den Briefen des Hundes an das Hundeweibchen erfahren sollte?
    Er stöhnte auf. Welche Infantilität hatte da zu ihm gesprochen und warum war es ausgerechnet diese Idee der Verwandlung gewesen, für die er von seiner Frau, als er sie ihr an einem noch kalten Märzabend vorgestellt hatte, am meisten Applaus geerntet hatte? Du als Hund! Das ist ja köstlich! Und daraus soll also die Dramaturgie entstehen. Da bin ich ja mal gespannt!
    Wieder stöhnte er auf. Hatte seiner Frau vielleicht an dieser Idee gefallen, dass er sich freiwillig und ohne Not erniedrigte? Hatte es ihr gefallen, dass er seinen Stellenwert innerhalb der Familie derart nach unten korrigierte? Oder war sie, wie er auch, in diesen Märztagen nur auf der glänzenden Oberfläche dieser Idee spaziert und hatte sie ebenso wenig verstanden wie er selbst? Warum wurde ihm erst jetzt, in diesem Moment, bewusst, dass es sich bei der Verwandlung des Schriftstellers nicht um eine kauzige Idee, sondern um die Flucht eines zutiefst verzweifelten Menschen vor sich selbst handelte, eines Menschen, der nur noch einen Bezug zu sich herstellen konnte, indem er sich der absoluten Lächerlichkeit preisgab und auf allen vieren den Küchenboden abschnupperte? Warum schrieb er nicht über einen solchen Menschen! Traute er sich an große Themen nicht mehr heran! Hatte er sich mit dieser Idee derart vor sich selbst blamiert, dass sie ihn für Jahre aus jedem weiteren literarischen Versuch herauskatapultiert hatte! War diese Idee vielleicht nicht nur sein Ende als Schriftsteller, sondern auch sein Ende als Mensch? Was unterschied ihn denn noch von einem Hund? Lag nicht auch er den ganzen Tag nutzlos herum und entzog sich nicht auch er jeder Verantwortung? Wenn seine Tochter ihn bis vor ein paar Wochen hin und wieder vorsichtig gefragt hatte, wie denn die Geschichte weitergehe, dann hatte er immer nur geschluckt und die Kehle war ihm so trocken, dass er nicht antworten konnte. Aber was hätte er auch antworten sollen? Seine Tochter war doch noch ein Kind. Wie hätte er ihr erklären sollen, dass es der richtige Impuls gewesen war, dieses Buch aufzugeben, und dass dieser Impuls bis auf weiteres das Letzte in seinem Leben sei, worauf er noch stolz sein konnte?
    Er schloss die Augen. War dieser Impuls damals tatsächlich einer Einsicht entsprungen? Hatte dieser Impuls einen Wert? War wenigstens dieser Impuls aus ihm heraus gekommen? Oder war es allein das Wohnungsproblem, das ihn dazu getrieben hatte, die Arbeit an diesem Buch einzustellen?
    Erneut
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