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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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Mäuse nicht ein ständiger Trost! Könnte er ihnen nicht Namen geben, die Namen seiner Kinder, seiner Frau und seinen eigenen, und hätte sein Leben dann nicht wieder einen Sinn? Würde er nicht schon nach wenigen Stunden versuchen, das Leben und das Treiben in diesem Käfig zu beschreiben, die kleinen Rangeleien und großen Streitigkeiten, das Aneinanderlehnen und Auseinandergehen? War das nicht sogar die winzige Umdeutung, nach der er in den letzten Monaten so erfolglos gestrebt hatte? Und konnte er den ungebetenen Gast nicht gleich mit in diesen Käfig setzen?
    Er sah zum Schreibtisch hin. Warum hatte er seiner Frau eigentlich nie von dem Gespräch erzählt, das er vor ein paar Wochen mit dem vorherigen Hausmeister geführt hatte? Er sei zwar hier, in dieser Stadt, geboren, hatte ihm der vorherige Hausmeister in diesem Gespräch berichtet, aber schon als Kind habe sein Herz für die deutschen Mittelgebirge, insbesondere den Harz geschlagen. Seit Jahrzehnten verbringe er dort, immer in derselben Pension, seinen Urlaub, und der Abschied falle ihm von Mal zu Mal schwerer. Leider, da habe er schon vorsichtig nachgefragt, brauchten sie ihn in dieser Pension nicht, aber er habe sich jetzt ein Stellenmagazin abonniert und vielleicht gelinge es ihm auf diese Weise, irgendwo anders im Harz oder auch in Thüringen den Posten eines Hausmeisters zu ergattern. Sehen Sie, hatte der vorherige Hausmeister geendet, so träume ich vor mich hin.
    Er sah zur Tür hin, die in den Flur führte. Würde seine Frau verstehen, warum er ihr diese Geschichte erzählte? Würde sie verstehen, warum er sich an diesem Nachmittag vor ein paar Wochen dem vorherigen Hausmeister so nah gefühlt hatte wie keinem anderen Menschen seit ewiger Zeit? Würde sie das überhaupt hören wollen? Müsste er ihr nicht vielmehr sagen, dass es für sie beide und die Kinder auch aufregend sein könne, in einen anderen Stadtteil zu ziehen? Müsste er ihr nicht sagen, dass er schon lange mit dem Gedanken schwanger gehe, dass ihm die Arbeit vermutlich sehr viel leichter von der Hand gehen würde, wenn er einen Spazierstock besäße? Müsste er ihr nicht sagen, dass er gestern Abend nur deshalb auf dem Hof der fast hundert Jahre alten Frau gewesen war, weil er neuerdings versuche, das Wohnungsproblem als Anregung zu verstehen, und dass er diesen Hof deshalb betreten habe, weil er dort einen literarischen Stoff gewittert hatte?
    Er schüttelte den Kopf. Diese Lüge würde sie sofort durchschauen. Seine Frau war klug. Sie war klüger, als er es sich einzugestehen wagte. Alles, was sie tat, tat sie bewusst, und alles, was sie hörte, ordnete sie rasch und sorgfältig ein. Müsste er ihr darum nicht wieder etwas aus seiner Kindheit erzählen? Könnte er nicht auf sich weisen und, ohne sofort Mitleid erregen zu wollen, sagen, dass er derzeit wieder dieser kleine Junge sei, der, wie verloren, mit der juckenden Indianerperücke auf dem Kopf und dem Plastiktomahawk in der Hand, auf dieser maßlos weiten Wiese sitzt und mit seinen traurigen Augen in eine verschwommene Ferne schaut? Könnte er ihr nicht sagen, dass er noch nie eine Idee aus sprühender Laune und überbordender Fröhlichkeit geschöpft hatte, sondern immer nur aus deren Gegenteil? Oder wollte sie das alles gar nicht hören?
    Mit Schwung wandte er seinen Kopf zum Schreibtisch um. Hatte seine Frau ihn deshalb verlassen, damit er all diese Worte zu sich selbst sprach? Aber was erhoffte sie sich davon? Hoffte sie vielleicht, dass einer dieser Sätze ihm ein Antrieb werden könnte, dass er von einem dieser Sätze, plötzlich mitgerissen, wie ein Schlafwandler mit selbstverständlichem Schritt zu seinem Notizbuch vortreten würde? O du listige Frau! Welche Durchtriebenheit! Hatte sie den Hund darum bei ihm gelassen, damit er nicht, wenn er erst einmal den ersten Satz errungen hatte, völlig blind und besinnungslos in der Arbeit verging, sondern durch die notwendigen Gänge daran erinnert wurde, dass es ein Außen gab? O welch weise Voraussicht! Hatte sie ihn vielleicht nur deshalb verlassen, um ihrer beider Liebe zu retten?
    Er schlug sich an die Stirn. Was war er für ein Narr! Wie hatte er mit dieser Frau streiten können? Ein Denkmal hätte ihr gebührt! Oder war auch dieser Streit Teil ihres Plans? Hatte sie diesen Streit nur deshalb geschickt heraufbeschworen und dann immer weiter geschürt, damit er besser in seinen Text hineinfand? Sollte dieser Streit seinen Text sogar eröffnen?
    Er legte den Kopf in den
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