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Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition)
Autoren: Jan Peter Bremer
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von seiner Mutter zu dieser Sache befragt worden war, war er in Tränen ausgebrochen. Sein Sohn hätte diesen Vorfall am liebsten unter den Teppich gekehrt, und nur, weil sein Sohn auf dem Sessel umso mehr verzagte, je entschlossener seine Mutter eine Handlung einforderte, also eigentlich, um den Schaden abzuwenden, den seine Frau hervorgerufen hätte, wenn sie nun selbst zu Alis Eltern gegangen wäre, hatte er so schnell und gegen seine Überzeugung eingelenkt. »Wenn du meinst, dass es sinnvoll ist, dann gehe ich jetzt. Mich hat ohnehin schon immer interessiert, wie diese Leute hier leben. Deshalb ist das für mich auch keinesfalls ein verschenkter Nachmittag.«
    Er öffnete die Augen. Hatte er, der größeren Glaubwürdigkeit wegen, nicht sogar noch behauptet, dass er nur noch schnell im Badezimmer seine Strümpfe wechseln wolle, bevor er zu Alis Eltern aufbreche? Er hatte doch eigentlich an diesem Nachmittag alles richtig gemacht, und auch deshalb genoss er die ganzen nächsten Tage nicht nur die Erleichterung, sondern auch den Stolz, mit dem ihn sein Sohn betrachtete. »Weißt du, Papa, diese Angelegenheit hast du wirklich äußerst elegant und auf sehr diplomatische Weise geregelt.« Hatte sein Sohn wirklich so zu ihm gesprochen? Hatte sein Sohn überhaupt jemals mit ihm über diesen Nachmittag gesprochen? »Weißt du, Papa, das war ganz toll von dir. Ich bin ja mit Ali eigentlich sogar ein bisschen befreundet. Beim Fußball auf dem Pausenhof bin ich immer der Einzige, der Ali Paroli bietet, und in Wahrheit hat Ali viel mehr Respekt vor mir als ich vor ihm. An diesem Nachmittag war nur blöd, dass Ali einen Freund dabeihatte, den ich nicht kannte. Ali dreht halt manchmal durch. Aber es war ja keine schlimme Ohrfeige, die er mir gegeben hat, und erst recht kein Grund, gleich zu seinem Vater zu gehen. Du weißt ja, wie Alis Vater ist. Und deshalb habe ich dann an diesem Nachmittag, als du gegangen bist, zum Himmel gefleht, du würdest genau so handeln, wie du gehandelt hast. Der einzige Fehler, Papa, wenn ich dir das sagen darf, den du begangen hast, war der, dass du, als du an diesem Nachmittag schon aufbruchbereit im Flur standest, den Hund noch hinter dir hergerufen hast. Vielleicht hat Mama schon etwas geahnt, als sie so streng gesagt hat: Der Hund bleibt natürlich hier! Denn es weiß ja eigentlich jeder und selbst du müsstest das wissen, Papa, dass in den meisten dieser Familien Hunde äußerst unerwünscht sind.«
    Er öffnete die Augen. Hatte seine Frau damals, als er den Hund zu sich gerufen hatte, bereits seine Absicht erkannt, Alis Eltern nicht aufsuchen zu wollen? Hatte sie ihn vielleicht deshalb, als er später am Abend wieder nach Hause kam, erst gar nicht gefragt, was er bei Alis Eltern erreicht hatte? Oder hatte sie schon an diesem Abend bemerkt, dass dieser Vorfall etwas viel Tieferes und Bedeutenderes in ihm bewirkt hatte, dass er diesen Vorfall seinem Sohn regelrecht entrissen hatte und nun selbst schwer an ihm trug?
    Er seufzte auf. Unten auf der Straße hatte er draußen, am Stehtisch des Kiosks, einen Kaffee getrunken. Dann war er mit einer frischen Zeitung unter dem Arm in den Park geschlendert und hatte dort, von einer Bank aus, zu dieser Zeit noch aus schriftstellerischer Motivation, den Hunden auf der Wiese beim Spielen zugeschaut. Hatte er sich an diesem Tag im Park nicht sogar noch geärgert, dass er sein Notizbuch zu Hause vergessen hatte? Oder hatten an diesem Tag gar keine Hunde in dem Park getobt? Hatte er die ganze Zeit auf eine leere Wiese gestarrt? War es nicht sogar weniger der Vorfall seines Sohnes als vielmehr diese Verlassenheit, die ihn im Park plötzlich umfing, die dann mit so herrischer Wucht das Bild des kleinen Ali in seinem Kopf heraufbeschwor? Wie lange hatte er vor diesem Tag nicht mehr an den kleinen Ali gedacht! Jahrzehnte mussten seit dem letzten Mal vergangen sein. Und wie wenig hatte er ihn vermisst! Wieso war der kleine Ali ausgerechnet an diesem Nachmittag wieder aufgetaucht? Zu jeder Stunde, zu jeder Minute, fast jeden Augenblick fühlte er sich seitdem von dem kleinen Ali berührt. In Gestalt eines melancholischen Nebels, wie ein schleichendes Gift, das ihn immer unerbittlicher lähmte, so war der kleine Ali zu ihm zurückgekehrt. Dabei war der kleine Ali, über bestimmt zwei Jahre seiner Kindheit hinweg, sein einziger Freund gewesen.
    Er hob den Blick zur Decke hinauf. Der kleine Ali war ihm im Fernsehen begegnet. Ein Tag aus dem Leben des kleinen Ali war
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