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Der Alchimist

Der Alchimist

Titel: Der Alchimist
Autoren: Paulo Coelho
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im stillen zu hoffen, daß dieser Tag niemals enden möge, oder daß der Vater des Mädchens ihn noch weitere drei Tage warten ließe Er bemerkte auch, daß er etwas Seltsames zu fühlen begann, etwas, was er bisher nicht gekannt hatte: den Wunsch, seßhaft zu werden. Mit dem Mädchen an seiner Seite würden die Tage gewiß nie langweilig werden.
    Doch dann erschien der Kaufmann, ließ ihn vier Schafe scheren gab ihm seinen Lohn und bat ihn, im kommenden Jahr wieder vorbeizuschauen.
3
    Jetzt fehlten also nur noch vier Tagesreisen bis zu jener Ortschaft Er war innerlich erregt und gleichzeitig verunsichert: Vielleicht hatte ihn das Mädchen längst vergessen, denn schließlich kamen viele Hirten hier vorbei, um Wolle zu verkaufen.
    »Das wäre auch egal«, sagte der Jüngling laut zu seinen Schafen, »schließlich kenne ich ja noch andere Mädchen in anderen Städten.« Aber im Grunde seines Herzens wußte er sehr wohl, daß es ihm doch nicht egal war. Und daß sowohl Hirten als auch Matrosen oder Handlungsreisende immer irgendeinen Ort kannten, wo es jemanden gab, bei dem sie die Freude vergaßen, frei durch die Welt zu reisen.
4
    Der Tag brach an, und der Hirte trieb seine Schafe in Richtung Sonnenaufgang.
    >Die brauchen nie selber eine Entscheidung zu fällen<, dachte er. >Vielleicht sind sie deshalb so anhänglich.< Das einzige Bedürfnis, das die Schafe haben, ist fressen und trinken. Solange man sie auf die sattesten Wiesen von Andalusien führt, so lange werden sie immer deine Freunde sein. Selbst wenn ein Tag dem anderen gleicht, mit eintönigen Stunden, die sich zwischen Sonnenaufgang und - unterganz dahinschleppen, selbst wenn sie in ihrem kurzen Leben nie ein Buch lesen werden und die Sprache der Menschen nie verstehen, die sich die Neuigkeiten aus den Ortschaften erzählen. Sie sind zufrieden mit Wasser und Nahrung, und das genügt. Als Gegenleistung bieten sie großzügig ihre Gesellschaft, ihre Wolle und manchmal sogar ihr Fleisch. >Wenn ich mich plötzlich in eine Bestie verwandeln würde und eines nach dem anderen abschlachtete, so würden sie es wohl erst bemerken, wenn ihre Herde schon so gut wie ausgerottet ist<, dachte der Jüngling. >Denn sie vertrauen mir blindlings und vertrauen nicht länger auf ihren eigenen Instinkt. Nur, weil ich sie zu den grünen Auen und frischem Wasser leite.< Der junge Mann wunderte sich über seine eigenen Gedanken. Vielleicht war diese alte Kirche mit dem Maulbeerbaum irgendwie verhext gewesen. Immerhin war sie daran schuld, daß er einen Traum zum zweiten Mal träumte, und mit einemmal Wut gegenüber seinen so treuen Gefährten empfand. Er trank einen Schluck Wein, der noch vom Abendbrot übriggeblieben war, und preßte seinen Mantel gegen den Leib. Es war ihm klar, daß es in einigen Stunden, wenn die Sonne senkrecht stand, zu heiß sein würde, um seine Schafe über die Felder zu führen. Es war die Tageszeit, wo während des Sommers ganz Spanien Siesta machte. Die Hitze hielt bis in die Abendstunden an, und die ganze Zeit über mußte er seinen Mantel mitschleppen. Aber jedesmal, wenn er sich über die Last beklagen wollte, fiel ihm wieder ein, daß er es diesem verdankte, wenn er morgens nicht zu frieren brauchte.
    >Auf die Launen des Wetters müssen wir immer vorbereitet sein<, dachte er und freute sich über das Gewicht des Mantels. So hatte sein Mantel einen Sinn, wie sein Leben auch einen hatte. Nach zwei Jahren kannte er nun schon alle Städte Andalusiens auswendig, und der große Sinn seines Lebens war: zu reisen. Er nahm sich vor, diesmal dem Mädchen zu erklären, warum ein einfacher Hirte lesen konnte: Bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr hatte er eine Klosterschule besucht, und seine Eltern wünschten, daß er Priester würde, worauf eine einfache Bauernfamilie Grund hatte, stolz zu sein. Denn auch sie hatten bisher nur für Nahrung und Wasser gelebt, wie seine Schafe. So erhielt er Unterricht in Latein, Spanisch und Theologie. Aber seit seiner Kindheit träumte er davon, die weite Welt kennenzulernen, und das schien ihm viel wichtiger, als Gott und die Sünden der Menschen kennenzulernen. Eines Nachmittags, als er seine Eltern besuchte, faßte er sich ein Herz und verkündete seinem Vater, daß er kein Priester werden, sondern reisen wolle.
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    »Menschen aus der ganzen Welt kamen schon durch diesen Ort, mein Sohn«, sagte damals sein Vater. »Sie kommen auf der Suche nach neuen Dingen, aber sie bleiben dabei dieselben. Sie gehen auf den Hügel, um die
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