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Der Alchimist

Der Alchimist

Titel: Der Alchimist
Autoren: Paulo Coelho
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handelt wie alle an deren Bücher auch«, fuhr der Alte fort. »Der Unfähigkeit des Menschen, sein eigenes Schicksal zu wählen. Und schließlich bewirkt es, daß alle an die größte Lüge der r Welt glauben.«
9
    »Welches ist denn die größte Lüge der Welt?« fragte der Jüngling überrascht.
    »Es ist diese: In einem bestimmten Moment unserer Existenz verlieren wir die Macht über unser Leben, und es wird dann vom Schicksal gelenkt. Das ist die größte Lüge der Welt!
    »Bei mir war es nicht so«, entgegnete der junge Mann. »Man wollte einen Geistlichen aus mir machen, aber ich habe mich entschlossen, Schafhirte zu werden.« »So ist es besser«, meinte der Alte. »Schließlich reist du gerne.« >Er hat meine Gedanken gelesen, überlegte der Jüngling. Der Alte blätterte inzwischen im Buch, ohne Anstalten zu machen, es zurückzugeben. Der Hirte betrachtete die ausgefallene Kleidung, die jener trug; er sah wie ein Araber aus, was in dieser Gegend keine Seltenheit war. Afrika lag nur wenige Stunden von Tarifa entfernt; man brauchte lediglich die schmale Meerenge mit einem Boot zu überqueren. Häufig erschienen Araber in der Stadt, um einzukaufen und mehrmals täglich eigenartige Gebete zu murmeln.
    »Woher kommen Sie?« fragte er.
    »Von vielerorts.« »Niemand kann von verschiedenen Orten gleichzeitig kommen«, sagte der Jüngling. »Ich bin ein Hirte und kenne viele Orte, aber herkommen tue ich aus einer einzigen Stadt, in der Nähe einer alten Burg. Dort bin ich geboren.« »Dann kann man sagen, daß ich aus Salem komme.« Der Jüngling hatte keine Ahnung, wo Salem lag, fragte jedoch nicht weiter, um sich keine Blöße zu geben. Er schaute eine Zeitlang dem Treiben der Leute auf dem Platz zu, die alle einen sehr geschäftigen Eindruck machten. »Wie läuft es in Salem?« fragte der Jüngling, um auf eine Spur zu kommen.
    »Wie immer.« Das war noch keine Fährte. Er wußte nur so viel, daß Salem nicht in Andalusien lag. Sonst würde er es kennen.
    »Und was machen Sie in Salem?« beharrte er weiter. »Was ich dort mache?« Jetzt brach der Alte in ein herzliches Gelächter aus. »Ich bin der König von Salem!« >Die Menschen reden oft merkwürdige Dinge<, dachte der Hirte. >Manchmal ist die Gesellschaft der Schafe wirklich vorzuziehen, sie sind stumm und suchen nur nach Wasser und Futter. Oder Bücher leisten uns
    ie Gesellschaft, die uns d tollen Geschichten immer dann erzählen, wenn wir sie hören möchten. Aber wenn man mit Menschen spricht, so kann es passieren, daß sie Dinge von sich geben, bei denen man nicht mehr weiterweiß.< »Mein Name ist Melchisedek«, sagte der Alte. »Wie viele Schafe hast du?« »Genug«, antwortete der Jüngling mißtrauisch. Der Alte wollte zuviel über ihn erfahren.
    »In dem Fall stehen wir vor einem Problem. Ich kann dir nicht helfen, solange du annimmst, daß du genug Schafe besitzt. Nun wurde der junge Mann gereizt. Schließlich hatte nicht er um Hilfe, sondern der Alte um Wein, Unterhaltung und das Buch gebeten. »Geben Sie mir das Buch zurück. Ich muß jetzt meine Schafe holen und weiterziehen.« »Wenn du mir den zehnten Teil deiner Schafherde gibst, dann erkläre ich dir, wie du an deinen verborgenen Schatz gelangen kannst«, sagte der Alte.
    Jetzt fiel dem Jüngling der Traum wieder ein, und plötzlich erschien ihm alles ganz klar. Die alte Traumdeuterin hatte zwar nichts genommen, aber dafür würde ihn jetzt der Alte, der vielleicht ihr Mann war, für eine wertlose Auskunft ausnehmen. Sicherlich war er auch ein Zigeuner. Bevor der Jüngling etwas erwidert hatte, beugte sich der Alte herunter, nahm ein Stöckchen zur Hand und begann im Sand zu schreiben. Beim Herabbeugen leuchtete etwas auf seiner Brust auf, das den jungen Mann stark blendete. Aber mit einer für sein Alter fast zu eiligen Bewegung zog der Greis seinen Mantel darüber. Als sich die Augen des jungen Mannes wieder beruhigt hatten, las er, was der Alte schrieb. Im Sand des Marktplatzes standen die Namen seines Vaters und seiner Mutter. Er las die Geschichte seines bisherigen Lebens, seiner kindlichen Spiele, der kalten Nächte während des Seminars; er las den Namen der Kaufmannstochter, den er selber gar nicht kannte. Er las Dinge von sich, über die er noch mit niemandem gesprochen hatte wie er die Waffe seines Vaters entwendete, um Hirsche zu jagen, oder die Geschichte seiner ersten, einsamen sexuellen Erfahrung.
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    »Ich bin der König von Salem«, hatte der Alte behauptet. »Wieso
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