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Und fuehre uns in die Versuchung

Und fuehre uns in die Versuchung

Titel: Und fuehre uns in die Versuchung
Autoren: Maria G. Noel , Runa Winacht
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Montag, 17. Oktober 1521
    Begehrst du Eintritt in diesen Orden …
     
    Es soll keine der Schwestern vor dem achtzehnten Jahr ihres Alters nimmer in diesen Orden aufgenommen werden. Auch wenn alle in sie verwilligen, ehe sie im Kloster aufgenommen und eingesegnet wird, soll sie ein Jahr warten.
    Aus den Klosterregeln der Heiligen Birgitta
     
     
    Rumms!
    Mathilda fuhr voller Schreck herum. Das Geräusch hatte sehr endgültig geklungen.
    Für immer , schoss es ihr durch den Kopf, als sie die schwere Türe sah, die hinter ihr zugefallen war. Das ist jetzt für immer.  
    Das Drehen des immens großen Schlüssels im Schloss und das Vorschieben des massiven Riegels verstärkten diesen Eindruck noch. In ihrer Brust ruckte etwas, was sie lange zurückgehalten hatte. Es stieg ihr in den Hals, wo es sich wie ein dicker Frosch querlegte und die Atmung erschwerte.
    „Ave Maria.“
    Erst jetzt kam sie dazu, der Nonne Aufmerksamkeit zu schenken, die sie vorhin, nach Betätigung des Türklopfers, durch das kleine Sprechfenster nur wortlos gemustert hatte, um sie dann ebenso wortlos einzulassen. Hatte Mathilda von ihr vorher nur einen kleinen Ausschnitt ihres Gesichts erkennen können – zwei blaue Augen und eine kurze, gerade Nase – jetzt konnte sie die Nonne im Ganzen sehen. Die Frau war noch jung, wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als Mathilda, allerdings kleiner - und in eine dunkelgraue Kutte gewandet. Auf dem Kopf trug sie einen weißen Schleier, der ihr weit in die Stirn reichte und alle Haare großzügig verdeckte.
    Wenn sie überhaupt welche hat , dachte Mathilda. Sie hatte Geschichten gehört von kahl geschorenen Nonnen. Allein dieser eine Gedanke, man könnte ihr den schönen langen Blondzopf abschneiden, brachte sie zum Erschauern.
    Sie wollte es vor sich nicht zugeben und hatte es auch niemandem gesagt, aber sie fürchtete sich. Die Geschichten, die draußen über das Leben im Kloster kursierten, waren ja vielleicht erfunden. Alle handelten sie von Buße und Kasteiung, von langen Fastenzeiten und schauderhaften Ritualen. Auspeitschungen, zum Beispiel. Oder gar Einmauerungen. Wenn sie sich nur vorstellte, man könnte sie in ein finsteres Loch stecken, aus dem sie niemals mehr wieder herauskommen würde – sie musste sich zusammen reißen, um nicht zu zittern.
    Allerdings sah die Nonne vor ihr keineswegs so aus, als wollte sie ihr Böses. Sie hatte die Hände fromm gefaltet und sah Mathilda fragend an.
    „Ich ... ich bin hier zum Postulat angemeldet“, sagte die hastig. „Werde ich nicht erwartet?“
    Die Nonne nickte freundlich, wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, öffnete eine Türe, die von diesem Vorraum wohl ins Innere des Klosters führte, und verschwand.
    Mathilda, unsicher, ob sie folgen sollte, blieb erst einmal stehen. „Soll ich hier warten?“, fragte sie die sich hinter der Nonne schließende Türe.
    Sie war nicht sonderlich überrascht, als keine Antwort kam.
    Gut, würde sie also hierbleiben. Sie sah sich um. Hier befand sie sich in einem kleinen düsteren Vorraum. Vor ihr eine schlichte Holztüre, hinter ihr die Klosterpforte mit schweren Eisenbeschlägen und der verschließbaren Sprechluke. Diese stand noch offen und war damit die einzige Lichtquelle im Raum. Sonst war hier – nichts. Nur kahle, kalte Wände. Ganz genauso, wie Mathilda sich fühlte. Kalt und kahl, eingesperrt. Sogar die Luft hier roch so, modrig, abgestanden, alt. Sie schluckte die drohend in der Kehle sitzenden Schluchzer hinunter und straffte sich ein wenig. Es sei ihr Stolz, der ihr im Wege stehe, sie müsse Demut lernen, hatte Vater Sigismund sie bereits mehrfach gemahnt. Gehorsam und Demut. Mathilda senkte die Augen. Hier, an Ort und Stelle, würde sie also damit beginnen. Sie trat einen Schritt zurück. Geduldig abwarten würde sie. Das war einfach. In dieser Zeit konnte sie ihren Gedanken nachhängen. Wenn sie auch aufpassen musste, dass die nicht zu ihm abschweiften. Und ihr Herz damit noch schwerer machten. An Vater würde sie denken, an ihr Zuhause, das sie für immer verloren hatte. Voller Konzentration beschwor Mathilda die Bilder in sich. Welche jedoch sofort von einer ganz anderen Person verdrängt wurden.  
    Sünde , schoss es ihr durch den Kopf. Abwehrend ruckte sie herum. An ihn denken, genau das durfte sie ab jetzt nicht mehr. Erst vorgestern, bei ihrer letzten Beichte, hatte Vater Sigismund ihr das noch einmal eingeschärft. Doch nun hatte sie esdoch wieder zugelassen und war nicht mehr rein.
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