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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel
Autoren: Michael Borlik
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antwortete nicht.
    Amy schob sich an ihm vorbei und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Haustür, die einen ziemlich erbärmlichen Anblick bot. Ihre Überreste hingen schief in den Angeln und zischten und dampften wie ein feuchtes Stück Stoff, das man ins Feuer geworfen hatte. Sie schlug die Hand vor den Mund. Jemand hatte einen Zauber auf ihre Haustür losgelassen. Dabei verbot das Gesetz es aufs Strengste, Magie zu zerstörerischen Zwecken einzusetzen.
    Ein Mann, groß und breit wie ein Bär, erschien in der aufgebrochenen Tür. Er trug eine schwarze Uniform, die sich über einen gewaltigen Bauch spannte und auf deren Brust das königliche Wappen prangte: ein großer schwarzer Stern auf samtblauen Hintergrund, umringt von dreizehn kleinen weißen Sternen. Ein Polizist. Und hinter seinen massigen Schultern waren die Köpfe weiterer Polizisten zu erkennen. Als er Amys Vater sah, blieb er stehen. »Sind Sie Rufus Tallquist?«
    Amys Vater nickte leicht. »Ja, ja, der bin ich. Aber …«
    »Was zum Teufel geht hier vor?«, rief Tante Hester, die aus der Küche gestürmt kam. Hoch erhobenen Hauptes baute sie sich vor dem Polizisten auf. »Wer sind Sie überhaupt? Und was wollen Sie von meinem Schwager?«
    Amy starrte sie ungläubig an. Seit wann setzte Tante Hester sich für ihren Vater ein?
    Der Polizist trat jedoch einfach an ihr vorbei, hob die fleischige Hand, die groß wie eine Bärenpranke war, und deutete damit anklagend auf Amys Vater. »Rufus Tallquist, hiermit verhafte ich Sie wegen Hochverrats!«
    Amy starrte ihren Vater an. Hochverrat? »Was … was meint er damit, Papa?« Ihre Stimme zitterte.
    »Sie müssen sich irren«, brach es aus Amys Vater heraus. »Ich habe nichts Unrechtes getan.«
    Der Polizist gab ein unwilliges Grunzen von sich. »Das sagen sie alle!« Er klopfte auf die Brusttasche seiner Uniform. Papier knisterte. »Ich habe hier einen Haftbefehl gegen Sie. Alles andere interessiert mich nicht.« Er wandte sich um. »Worauf wartet ihr noch?«, bellte er zwei Polizisten an. »Nehmt ihn schon in Gewahrsam!«
    »Papa«, hauchte Amy.
    Er wandte ihr das Gesicht zu. Es war bleich. Seine Lippen zitterten und in seinen Augen stand Angst. Entsetzliche Angst. Sie schlang die Arme um ihn und vergrub ihr Gesicht in seinem Jackett. »Nein, nein, nein«, schluchzte sie. »Lassen Sie ihn in Ruhe! Er hat noch nie jemanden etwas Böses getan!«
    Hände packten sie grob an den Schultern und zerrten sie von ihrem Vater weg. Amy wehrte sich, schrie und strampelte mit den Füßen, aber der fette Polizist war einfach zu stark. Hilflos musste sie mit ansehen, wie sie ihren Vater abführten. Kurz bevor er aus ihrem Blickfeld verschwand, drehte er sich noch einmal um. »Hab keine Angst, Amy. Das kann nur ein schreckliches Missverständnis sein. Wir sehen uns schon bald wieder.« Seine Mundwinkel zuckten, als versuchte er zu lächeln. Dann zogen die Polizisten ihn auch schon mit sich fort.
    Das Einzige, woran Amy in diesem Moment denken konnte, war, dass auf Hochverrat die schlimmste aller Strafen stand: der Tod. Ihre Unterlippe begann zu beben. Draußen wurde eine Tür zugeschlagen. Im nächsten Moment waren Hufgeklapper und das Rattern der davonrollenden Gefängniskutsche zu hören.
    Erst jetzt ließ der fette Polizist Amy los. Rasch trat er zwei Schritte von ihr zurück, als fürchtete er, sie könnte wieder anfangen, um sich zu schlagen.
    »Was wird jetzt aus dem Mädchen?«, erkundigte sich Tante Hester in vorwurfsvollem Ton. »Sie können sie ja wohl kaum alleine hier zurücklassen.«
    »Sie sind nicht ihre Mutter?«, fragte der Polizist.
    »Meine Schwester ist vor einigen Jahren verstorben.«
    »Ihre Tante, hm.« Er kratzte sich am Kopf. »In dem Fall schlage ich vor, dass das Mädchen bei Ihnen wohnt.«
    »Das geht nicht«, protestierte Tante Hester schrill. »Ich kann Kinder nicht aus … ich meine, ich kenne mich nicht mit ihnen aus.«
    Der Polizist zuckte die Achseln. »Jemand muss sich um die Kleine kümmern, das haben Sie selber gesagt. Aber ich muss jetzt weiter. Die Pflicht ruft.« Damit drehte er sich um und stapfte aus der noch immer qualmenden Haustür.
    Tante Hesters Kopf fuhr herum. »Ich wusste ja, dass dein Vater zu nichts taugt. Aber Hochverrat?« Sie kniff die dünnen Lippen zusammen, womit sie wohl Missbilligung zum Ausdruck bringen wollte. Dabei sah es vielmehr danach aus, als versuchte sie ein Lächeln zu verbergen.
    Amy stand einfach nur da und brachte keinen Ton heraus. Tränen kullerten
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