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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel
Autoren: Michael Borlik
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Prolog
    Helle Aufregung herrschte im Astronomieturm des Schlosses. Ein feurig roter Komet war am sternklaren Himmel über der Stadt aufgetaucht und nun drängten sich die königlichen Astrologen um ein riesiges Teleskop, machten sich eifrig Notizen und fertigten Skizzen von seiner Flugbahn an.
    Wenig später traten sie in der Mitte des engen Turmzimmers zusammen, um mit vor Erregung geröteten Gesichtern das Erscheinen des Kometen zu deuten. Es gab nicht den geringsten Zweifel: Sein Auftauchen, so kurz vor der Krönung des künftigen Königs, konnte nur ein außergewöhnlich gutes Omen sein. Kaum hatten sie so entschieden, nickten sie sich zufrieden lächelnd über ihren silbergrauen Bärte zu.
    Wie falsch die Astrologen lagen, ahnten sie nicht. Woher hätten sie auch wissen sollen, dass das Erscheinen des Kometen das Ende eines tausend Jahre alten Fluches einläutete? Eines Fluches, der seit Langem vergessen war. Und während sie sich wieder in die Betrachtung des Kometen vertieften, ereignete sich im Süden der Stadt Sonderbares.
    Eine jähe Windbö traf das Portal der berühmtesten Kathedrale der Stadt und hob die schweren Bronzeflügel aus ihren Angeln, als wären sie leicht wie Papierdrachen. Krachend stürzten sie zu Boden, während der Wind ungebremst durch den langen Mittelgang fegte, sich an mächtigen Säulen und knarrenden Holzbänken rieb und erst erstarb, als alle Kerzen erloschen waren.
    Dunkelheit.
    Stille.
    Dann plötzlich ein Ächzen und Stöhnen. Zuerst nur ganz leise, kaum hörbar. Als erwachte etwas aus einem langen und tiefen Schlaf und versuchte nun mühsam, die Steifheit von Jahrhunderten abzuschütteln. Doch schon im nächsten Moment erzitterte die Luft unter einem tiefen Grollen, wie wenn harter Fels unter einer schweren Last zerspringt. Ursprung des Grollens war das Herz der Kathedrale.
    Dreizehn Engelsstatuen standen dort und bewachten den goldenen Thron, auf dem seit jeher die Könige des Landes gekrönt worden waren.
    Wieder drang das Grollen durch die Dunkelheit und nun begannen sich die Statuen zu regen. Langsam öffneten sie ihre Lider. Die Augen darunter waren golden und leuchteten von innen heraus, als brenne ein helles Licht darin. Sie reckten und streckten die steifen Glieder und uralter Staub rieselte aus den Falten ihrer prächtigen Gewänder, die nicht länger aus Stein waren, sondern glatt und weich um ihre Körper wallten.
    Lautlos stiegen die Engel von ihren Podesten. Überirdisch schöne Wesen mit mächtigen Schwingen, die wie Mäntel aus Federn um ihre Schultern lagen. Lautlos durchschritten sie den Mittelgang der Kathedrale und glitten hinaus in die Nacht, um zu vollenden, woran sie einst gehindert wurden.

Besuch von Tante Hester
    Als Amy Tallquist an diesem Morgen erwachte, ahnte sie noch nichts davon, dass sie heute die beiden wichtigsten Dinge in ihrem Leben verlieren würde: ihr Zuhause und ihren Vater.
    Ein Sonnenstrahl verirrte sich durch eine Ritze im Vorhang und kitzelte Amy an der Nase. Gähnend rieb sie sich die Augen, dann kletterte sie aus dem Bett und zog den Vorhang auf. Es war ein herrlicher Sonntagmorgen mit einem wunderbar blauen Himmel und einer goldgelben Herbstsonne. Ein ungewohnter Anblick in einer Stadt, die oft von dichtem Nebel heimgesucht wurde, der zu dieser Jahreszeit regelmäßig vom Fluss aufstieg.
    Ein Pferd wieherte.
    Amy öffnete das Fenster und beugte sich hinaus. Der Karren des Milchmannes hielt vor ihrer Haustür. Wenn ich mich beeile, hab ich das Frühstück fertig, bevor Papa nach unten kommt, dachte sie.
    Amy lief zu der unscheinbaren, ein wenig mitgenommen aussehenden Kommode in der Ecke ihres Zimmers. Dort standen eine Kanne und eine Waschschüssel bereit. Sie hob die Kanne an und ließ vorsichtig etwas Wasser in die Schüssel plätschern. Anschließend tauchte sie die Hände hinein, um sich den Schlaf aus dem Gesicht zu waschen.
    Brrr. Das Wasser war eiskalt.
    Nachdem sie mit der Morgentoilette fertig war, schlüpfte sie in ihr Lieblingskleid und bürstete sich das Haar; widerspenstige, schwarze Locken, die sich einfach nicht bändigen lassen wollten. Schließlich gab Amy es auf und eilte nach unten. Sie holte die Milch herein und trug sie in die Küche. Es war eine kleine, gemütliche Küche, die immer ein wenig nach Pfefferminz duftete, dem Lieblingstee ihres Vaters. Amy öffnete die Ofenklappe und warf zwei Holzscheite hinein, um das Feuer wieder in Gang zu setzen, das über Nacht heruntergebrannt war. Dann begann sie mit den
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