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Denn niemand hört dein Rufen

Denn niemand hört dein Rufen

Titel: Denn niemand hört dein Rufen
Autoren: Mary Higgins Clark
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erreichte, wimmelte es dort wie immer von Menschen, die in das Gebäude hinein- und aus ihm herausströmten, die zu den Gates eilten, um ihren Bus zu erreichen, oder in die entgegengesetzte Richtung hasteten, um ein Taxi heranzuwinken. Auch dieser Ort, wie alle anderen, rief sofort Erinnerungen wach. Sie sah sich
noch, wie sie mit Natalie durch dieses Gebäude eilte, um zu irgendwelchen Vorsprechterminen für Fernsehwerbespots zu gehen, sogar schon zu der Zeit, als sie noch im Kindergarten war.
    Schon damals blieben die Leute stehen, um sie anzuschauen, erinnerte sich Alice, während sie in der Schlange wartete, um eine Fahrkarte nach Hackensack, New Jersey, zu kaufen, wo sich das Gerichtsgebäude befand. Während alle anderen Mädchen ihre Haare lang trugen, hatte Natalie eine Pagenfrisur mit Pony. Sie war ein hübsches Kind, und sie stach aus der Menge hervor.
    Aber es war noch mehr als das. Sie war von Anfang an dazu ausersehen, ein Star zu werden.
    Selbst nach all den Jahren wäre ihr der Weg zum Gate 210, wo der Bus nach Closter abfuhr, noch völlig vertraut vorgekommen, doch Alice ging schweren Herzens zum Gate 232 und wartete auf den Bus nach Hackensack.
    Eine Stunde später stieg sie die Eingangsstufen zum Gerichtsgebäude von Bergen County hinauf, und während ihre Handtasche an der Sicherheitsschleuse durchleuchtet wurde, erkundigte sie sich schüchtern, wo sich der Fahrstuhl befinde, der sie in den ersten Stock zum Büro der Staatsanwältin bringen würde.

8
    A ls Alice Mills aus dem Bus stieg, einen Häuserblock vom Gerichtsgebäude entfernt, ging Emily gerade ihre Notizen für die Befragung mit Billy Tryon und Jake Rosen durch, den beiden Ermittlungsbeamten, die von Anfang an den Mordfall Natalie Raines bearbeitet hatten. Sie hatten zu dem Team der Staatsanwaltschaft gehört, das von der Polizei von Closter verständigt worden war, nachdem man Natalies Leiche gefunden hatte.
    Tryon und Rosen hatten es sich auf den Stühlen vor Emilys Schreibtisch bequem gemacht. Wie immer, wenn Emily die beiden Männer vor sich hatte, stellte sie betroffen fest, wie unterschiedlich die Gefühle waren, mit denen sie ihnen begegnete. Jake Rosen, einunddreißig Jahre alt, einen Meter achtzig groß, schlank, mit kurzgeschnittenen blonden Haaren und einem tadellosen Auftreten, war ein kluger und gewissenhafter Ermittler. Sie hatte bereits einige Jahre zuvor mit ihm zusammengearbeitet, als sie beide der Jugendstrafkammer zugeteilt waren, und sie waren gut miteinander ausgekommen. Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen, Billy Tryon eingeschlossen, schien es ihm nie etwas ausgemacht zu haben, dass sein Boss eine Frau war.
    Tryon jedoch schien aus einem anderen Holz geschnitzt zu sein. Emily und andere Frauen im Büro hatten von Anfang an eine gewisse, kaum verhüllte Feindseligkeit bei
ihm gespürt. Außerdem ärgerten sich alle über die Tatsache, dass bislang keine einzige Beschwerde gegen ihn, wie begründet auch immer, irgendwelche Folgen gezeitigt hatte, und das allein aus dem Grund, weil er ein Cousin des Staatsanwalts Ted Wesley war.
    Er war ein guter Ermittler, das konnte Emily nicht bestreiten. Aber es war allgemein bekannt, dass er bei der Wahl seiner Methoden, um eine Anklageerhebung zu erreichen, nicht nur bis an die Grenzen ging, sondern diese bisweilen auch überschritt. Im Lauf der Jahre hatte es immer wieder Anschuldigungen von Angeklagten gegeben, die kategorisch abstritten, die belastenden Aussagen jemals gemacht zu haben, die er bei seinen Auftritten vor Gericht bezeugte. Sie wusste zwar, dass vermutlich alle Ermittler es irgendwann mit dieser Art von Beschwerde zu tun bekamen, doch zweifellos ging dies bei Tryon weit über das gewöhnliche Maß hinaus.
    Er war auch der Ermittler gewesen, der als Erster nach der Verhaftung Eastons auf dessen Bitte reagiert hatte, mit jemandem von der Staatsanwaltschaft zu reden.
    Emily hoffte, dass man ihr ihre Abneigung nicht anmerkte, als sie ihn anblickte, wie er so auf seinen Stuhl gelümmelt vor ihr saß. Mit seinem wettergegerbten Gesicht, seinem ausgefransten Haarschnitt und den stets halb geschlossenen Augen sah er älter aus als seine zweiundfünfzig Jahre. Er war geschieden und hielt sich selbst für einen Mann, auf den die Frauen flogen, und tatsächlich gab es außerhalb des Büros wohl auch Frauen, die ihn attraktiv fanden. Emilys Abneigung hatte sich noch vertieft, seit ihr zu Ohren gekommen war, dass er gegenüber anderen über sie gesprochen hatte. Dabei
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