Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn niemand hört dein Rufen

Denn niemand hört dein Rufen

Titel: Denn niemand hört dein Rufen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
Verbrechensfällen durchforstet haben, die er in seiner abendlichen Sendung Vor Gericht auf Channel 8 besprechen könnte.
    Gordon hatte als Strafverteidiger begonnen, doch mit vierunddreißig Jahren hatte sich sein Leben nachhaltig verändert. Er war gebeten worden, an genau dieser Sendung teilzunehmen, einer Runde von Experten, die die gerade in Manhattan laufenden Strafprozesse analysierten. Mit seinen schwarzen Haaren und den blauen Augen sah er äußerst gut aus. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch wegen seiner scharfsinnigen Bemerkungen, seiner Schlagfertigkeit und seines Charmes wurde er von da an öfter als Gast in die Show eingeladen. Als dann der langjährige Moderator in den Ruhestand ging, hatte man ihm vorgeschlagen, sein Nachfolger zu werden. Nun, zwei Jahre später, gehörte die Show zu einer der beliebtesten Sendungen des Landes.
    Mike war gebürtiger New Yorker und wohnte in Manhattan in einer Wohnung an der Central Park West. Trotz der zahlreichen Einladungen, mit denen er als begehrter Junggeselle überhäuft wurde, verbrachte er viele Abende zu
Hause, um an dem Buch zu arbeiten, für das er einen Vertrag abgeschlossen hatte, eine Untersuchung der größten Strafprozesse des zwanzigsten Jahrhunderts. Es sollte mit Harry Thaws Mord an dem Architekten Stanford White im Jahr 1906 beginnen und mit dem ersten Prozess gegen O. J. Simpson im Jahr 1995 enden.
    Es war ein Projekt, das ihn fesselte. Er war zu der Ansicht gelangt, dass die meisten Straftaten innerhalb einer Ehe aus Eifersucht begangen wurden. Thaw war eifersüchtig auf White gewesen, weil er ein Verhältnis mit seiner Frau gehabt hatte, als sie noch sehr jung gewesen war. Simpson war eifersüchtig gewesen, weil seine Frau in der Öffentlichkeit mit jemand anderem gesehen worden war.
    Und was war mit Gregg Aldrich, einem Mann, den er bewundert und gemocht hatte? Noch vor der Heirat der beiden war Michael sowohl mit Gregg als auch mit Natalie eng befreundet gewesen. Er hatte bei Natalies Beerdigung eine eloquente Trauerrede gehalten, und in den zwei Wintern seit Natalies Tod hatte er Gregg und seine Tochter Katie wiederholt an Wochenenden zum Skifahren in seine Hütte in Vermont eingeladen.
    Ich habe immer geglaubt, dass die Ermittlungsbehörden Gregg vorverurteilt haben, indem sie ihn offiziell als Hauptverdächtigen bezeichneten, dachte Michael, während er gedankenverloren die Zeitungen auf seinem Schreibtisch betrachtete und schließlich beiseiteschob. Und was glaube ich jetzt? Ich weiß es einfach nicht.
    Gregg hatte ihn am Tag der Anklageerhebung angerufen. »Mike, ich nehme an, dass du den Prozess in deiner Sendung verfolgen wirst?«
    »Ja.«
    »Ich werde dir die Sache erleichtern. Ich werde dich
nicht fragen, ob du an Eastons Geschichte glaubst. Aber ich denke, es wird am besten sein, wenn wir uns aus dem Weg gehen, bis der Prozess vorüber ist.«
    »Ich glaube, du hast Recht, Gregg.« Ein unangenehmes Schweigen war zwischen ihnen entstanden.
    Sie hatten sich im letzten halben Jahr nicht gesehen. Gelegentlich waren sie sich im Theater oder auf einer Cocktailparty begegnet und hatten lediglich im Vorübergehen einander zugenickt. Inzwischen war der Prozessbeginn auf den 15. September angesetzt, den kommenden Montag. Mike plante, in gewohnter Weise über den Prozess zu berichten, die jeweiligen Höhepunkte der Zeugenaussagen vom Tage, gefolgt von einer Diskussion in seiner Expertenrunde. Es war ein großes Glück, dass der Richter Kameras im Gerichtssaal zuließ. Einspielungen mit echten Aufnahmen aus dem Verfahren würden für gute Einschaltquoten sorgen.
    Wie er Gregg kannte, würde er ohne Zweifel äußerlich ruhig und gelassen bleiben, welche Beschuldigungen auch immer die Staatsanwältin gegen ihn vorbrachte. Gregg war allerdings auch ein sehr gefühlsbetonter Mensch. Bei der Beerdigung war er beherrscht geblieben, doch später am selben Abend in seiner Wohnung, als außer ihm nur noch Natalies Mutter, Katie und Mike anwesend waren, hatte er plötzlich hemmungslos zu weinen begonnen und war aus dem Zimmer gestürzt.
    Es stand außer Frage, dass er Natalie geliebt hatte. Doch war dieser Ausbruch wirklich Ausdruck reiner Trauer gewesen, oder war auch Reue mit im Spiel? Oder gar die nackte Angst, für den Rest seines Lebens ins Gefängnis gehen zu müssen? Mike war sich einfach nicht mehr sicher. Aus irgendeinem Grund tauchte immer, wenn er an diesen
Abend und an Greggs Gefühlsausbruch dachte, vor seinem inneren Auge das Bild von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher