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Den lass ich gleich an

Den lass ich gleich an

Titel: Den lass ich gleich an
Autoren: E Berg
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Lichtjahre her, dass sie sich ernsthaft Gedanken um ihr Äußeres gemacht hatte. Zuletzt hatte sie es als Teenager mit Miniröcken versucht. Dann kam die Rockerphase mit Nietenjeans und Netzhemden, gefolgt von einem Hippie-Intermezzo und Jahren, in denen sie nur noch wahllos Schnäppchen aus dem Ausverkauf trug. Seit sie Mutter war, hatte sich das Thema Stil sowieso erledigt. Da Lotte von Anfang an dazu neigte, sich mehrmals am Tag zu erbrechen und ihre feuchte Nase an Lulu abzuwischen ebenso wie ihre klebrigen Hände, musste die Kleidung preiswert und kochfest sein. Später dann spielplatztauglich sowie resistent gegen Fingerfarben, Klebstoff und Schokolade.
    Lulu hatte nie begriffen, wie manche Frauen es schafften, Kinder und Klamotten unter einen Hut zu bringen. Die sahen selbst nach einem langen Tag in Küche, Sandkasten und Kinderzimmer noch so aus, als seien sie gerade einem Modemagazin entstiegen.
    Nach einigem Nachdenken beschloss Lulu, wenigstens so etwas wie scharfe Schuhe anzuziehen. Todesmutig schlüpfte sie in ein Paar Lackpumps, die ihr eine Moderedakteurin nach einem Fotoshooting geschenkt hatte. Die Pumps waren klatschmohnrot und hatten schwindelerregend hohe Absätze. Etwas unsicher stöckelte Lulu eineWeile hin und her, bis sie plötzlich einknickte und gegen den Badezimmerschrank taumelte. Die Schuhe waren viel zu groß!
    Models hatten riesige Füße, weil sie mindestens ein Meter achtzig groß sein mussten. Lulu dagegen brachte es gerade mal auf einen Meter achtundsechzig und hatte eine Schuhgröße, mit der sie auch in der Kinderabteilung fündig wurde. Kurzerhand stopfte sie die Pumps mit Toilettenpapier aus. Der alte Modeltrick. Dann zog sie die Dinger wieder an. Nun hatte sie den Gang eines angetrunkenen Seemanns, aber mit etwas gutem Willen konnte man das als sexy durchgehen lassen. Sie strich ihr T-Shirt glatt und schaute in den Spiegel.
    »Du hast ein Date mit dem Wahnsinn auf zwei Beinen«, flüsterte sie ihrem totenblassen Gegenüber im Spiegel zu. »Mach was draus!«
    Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer angstvollen Grimasse. Bisher hatte sie noch jedes ihrer raren Dates versemmelt. Kurz nach Lottes Geburt war sie mit einem riesigen Stillbusen zu einem Rendezvous erschienen. Prompt war die Milch eingeschossen, und sie hatte die Flucht ergreifen müssen, als auf ihrem T-Shirt zwei dunkle, kreisrunde Flecke erschienen. Ein anderes Mal hatte ein Mann Reißaus genommen, weil sie vergessen hatte, den Windeleimer zu leeren, und ein infernalischer Gestank die Wohnung durchzogen hatte.
    Die traurige Krönung war jene Nacht gewesen, als sich nach einer Party endlich mal ein Mann in ihr Bett verirrthatte. Damals war Lotte vier gewesen. Mitten in der Nacht war sie aufgewacht und hatte weinend und schreiend den Eindringling vertrieben, der ihre Mami »gewürgt« hatte. Kein Wunder, dass Lulu seither allein geblieben war.
    War das eigentlich normal, dass sie so grässliches Lampenfieber hatte? Sie brauchte dringend etwas, das sie aufbaute.
    Lulu ging in die Küche, kramte in ihren CDs und legte ihre Lieblingsmusik auf. Barry White, »You’re the First, the Last, My Everything«. Der fetzige Discosound der Siebziger war jetzt genau richtig. In dieser Musik konnte man planschen wie in einem Whirlpool.
    Sie machte ein paar Tanzschritte, soweit das überhaupt möglich war in den High Heels. Schon besser. Immer schön mit dem Po wackeln, sagte Sabrina immer, das befreit die Mitte und entspannt das Sonnengeflecht. Lulu wackelte, Lulu befreite sich. Entspannend war das Ganze jedoch nicht. Mittlerweile war sie so aufgeregt, dass sie feuchte Hände und eiskalte Füße hatte.
    In diesem Moment klingelte es. Lulu hastete in den Flur. Sie hatte ihrer Mutter etwas von einem beruflichen Termin erzählt. Dass es um Leben und Tod in Sachen Männer ging, hatte sie lieber verschwiegen. Ihre Mutter verstand sich nämlich bestens darauf, einen Mann zu zerlegen, bevor er überhaupt einen Schritt in Lulus Leben setzte.
    Auf dem Weg zur Tür schaute Lulu zu Lotte, die versunken auf der Couch saß und eine Kinderkassette hörte. Süßes Lottchen.
    Fast acht Jahre wohnte Lulu schon in dem kleinen Appartement. Sie hatte es gelb gestrichen, gelb wie der Sonnenschein. Die Barbies, Dinos und Elektronikspiele, die überall herumlagen, sorgten für einen Hauch von Chaos.
    Lulu liebte diese Wohnung, auch wenn sie vor den gestrengen Augen ihrer Mutter natürlich nicht bestehen konnte. Vielleicht hätte ich aufräumen sollen, dachte
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