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Den lass ich gleich an

Den lass ich gleich an

Titel: Den lass ich gleich an
Autoren: E Berg
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da nicht gerade behaupten kann«, flüsterte der Typ seinem Kollegen zu, gerade laut genug, dass Lulu es hören konnte. Das war gemein. Sie straffte ihre Schultern und reckte das Kinn vor. Von so einem ließ sie sich doch nicht den Schneid abkaufen.
    »Guten Morgen!«, rief sie dem Model zu. »Hast du dich schon mit Fit & Ex angefreundet?«
    »Na klar!«
    Sofort kam Bewegung in das Mädchen. Wie in Ekstase riss es eine giftgrüne Flasche hoch und presste sie an sich wie einen Schoßhund. Auch das tat keine Hausfrau, aber es sah umwerfend aus. Die Herren in Schwarz ließen ihre Espressotassen sinken und murmelten freudig erregt.
    »Wahnsinn«, schwärmte Lulu, während sie ein Foto nach dem anderen schoss, »nur noch ein bisschen mehr Rumms!«
    »Wie, Rumms?«, fragte das Model.
    Lulu antwortete nicht. Wieso denke ich überhaupt über Wäsche nach?, durchzuckte es sie. Körperliche Aktivitäten sind am ersten Abend streng verboten. Die gusseiserne Regel: Kein Sex beim ersten Date! Aber man kann nie wissen … Auf jeden Fall sollte ich die Bodylotion mit dem Vanilleduft nehmen. Vanille riecht so sinnlich.
    Sie ließ ihre Kamera sinken. »Das ist die ultimative Bodylotion, äh – Scheuermilch! Sie macht dich glücklich! Zeig es mir!«
    Als Lulu um sieben Uhr abends wieder in ihrem Badezimmer stand, befand sie sich in einem Zustand kompletter Auflösung. Sie musste sich am Waschbecken festhalten, um nicht einfach auf die Fliesen zu kippen. Kein Wunder. Nur schlappe zwei Kekse und viel zu viel Kaffee hatte sie herunterbekommen an diesem Schicksalstag.
    Mach dich nicht lächerlich, ermahnte sie sich. Du bist fast vierzig, kein hysterischer Teenager. Und doch fühltesich ihr Herz keinen Tag älter als fünfzehneinhalb an. Ein Abend mit Mike, das war vielleicht die Chance, auf die sie so lange gewartet hatte. Fragte sich nur, wie sie einen Womanizer wie Mike für sich gewinnen könnte.
    Dreimal hatte sie sich schon umgezogen. Lulu besaß eine beeindruckende Sammlung verwaschener Jeans, ausgeleierter Jogginganzüge und Motto-T-Shirts, aber Garderobe für ein Date? Fehlanzeige. Das gebatikte Kleid aus ihrer Hippiephase war ebenso in die Ecke geflogen wie Sabrinas knallenge rote Lederleggins, die plötzlich drei Nummern zu klein waren. Jetzt probierte sie den schwarzen Hosenanzug an, den sie vor einigen Jahren zur Beerdigung ihres Vaters getragen hatte. Genauso sah der Anzug aber auch aus: sehr schwarz, sehr trostlos. Als wollte sie ihre letzten Hoffnungen auf einen Mann zu Grabe tragen.
    Lulu seufzte. Was tun? Ein letztes Mal durchwühlte sie ihren Kleiderschrank. Dann gab sie es auf. Sie hatte nichts, um sich als Weibchen oder Vamp zu verkleiden, deshalb entschied sie sich für eine einigermaßen saubere Jeans und ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck »It’s a girl!«, das sie mit einer Kette von Lotte aufpeppte. Es war ein Geburtstagsgeschenk ihrer kreativen Tochter und bestand aus Schmetterlingsnudeln, die Lotte auf einen Nylonfaden gereiht hatte. Nicht gerade glamourös, aber originell.
    Skeptisch stellte sie sich vor den Spiegel. Wohlmeinende Freunde nannten Lulu ein Vollweib, doch sie machte sich keine Illusionen über ihre Figur. Schließlich hatte sie täglich spindeldürre Hungerhaken vor der Kamera, lauterMädchen, die das Einmaleins an ihren Rippen abzählen konnten. Sabrina wiederum fand Lulus Figur »aufregend erotisch« und prophezeite die Rückkehr der Kurven. Die hatte gut reden. Sie selbst war dünn wie ein Bleistift.
    Mit einem beherzten Ruck zog Lulu den Bauch ein und den Reißverschluss der Jeans zu.
    Was kam als Nächstes? Ach ja, ein Hauch Make-up konnte nicht schaden. Dummerweise besaß sie nur zwei Lippenstifte, die sie nie benutzte. Mit zitternden Fingern zog sie die Lippen nach. Kirschrot? Sie rubbelte die Farbe wieder ab. Koralle? Ja, Koralle ist besser. Kirsche macht alt.
    Als sich die Badezimmertür einen Spaltbreit öffnete, schrak Lulu unwillkürlich zusammen. Nun kam die Stunde der Wahrheit: Wie sag ich’s meiner Tochter? Dass Mami einen Ausflug in die kinderfreie Zone macht?
    Lottes Gesicht gefror zu einem einzigen Vorwurf, als sie ihre Mutter musterte. Mit kindlichem Scharfsinn begutachtete sie die Kette und die geschminkten Lippen.
    »Gehst du etwa weg?«, fragte sie.
    »Überraschung!«, trällerte Lulu. »Ich habe eine Verabredung. Mit einem sehr, sehr sympathischen Mann.«
    Lotte verzog den Mund. »Soso. Du hast ein Date. Mag er Kinder? Kann er Nintendo spielen? Geht er mit mir
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