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Den lass ich gleich an

Den lass ich gleich an

Titel: Den lass ich gleich an
Autoren: E Berg
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sich Mut zu. Das Restaurant Olive ist bestimmt in ein Meer von Kerzenlicht getaucht. Sei froh, dass Mike dich nicht in eine Imbissbude eingeladen hat. Neonlicht macht einen grünen Teint und gräbt selbst in Pfirsichhaut tiefe Gletscherspalten. Die teuren Lokale dagegen haben kosmetische Beleuchtung, den eingebauten Weichzeichner. Merke: Je reicher die Gäste, desto gnädiger das Licht. Und Mike stand ohne Frage am oberen Ende der Nahrungskette. Er war der Chef einer Werbeagentur und musste sich um seine Miete garantiert keine Sorgen machen.
    Lulu sah auf die Uhr. Die Zeit verging viel zu langsam. Nein, sie verging viel zu schnell. Einerseits konnte sie eskaum erwarten, Mike zu treffen. Andererseits hatte sie keinen blassen Schimmer, wie sie sich verhalten sollte. Was erwarteten Männer eigentlich beim ersten Abend? Die selbstbewusste Powerfrau? Das anschmiegsame Weibchen? Einen Vamp? Das waren Schicksalsfragen, die keine Frauenbeauftragte jemals beantwortet hatte. Außerdem war Lulu weder eine Powerfrau noch ein Weibchen noch ein Vamp. Nur eine ziemlich überforderte alleinerziehende Mutter, die nicht mal auf einem Flirtportal punkten konnte.
    Ein Date war in ihrer Situation der Sechser im Lotto. Da hätte sie eigentlich ein paar Tage gebraucht, um sich angemessen vorzubereiten. Denn um ehrlich zu sein: Sie war ein bisschen aus der Übung.
    Wie in Trance absolvierte Lulu das übliche Morgenprogramm. Sie duschte extra heiß, fönte ihre Locken zu einem wilden Etwas, dann schlüpfte sie in eine bequeme Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Darüber zog sie wie immer ihre olivfarbene Anglerweste mit den hundert kleinen Taschen. Praktisch und bequem, wie alles, was Lulu in ihrem übersichtlichen Kleiderschrank hatte. Für größere Schönheitsaktionen blieb ihr sowieso keine Zeit. Immerhin waren noch ein Tomatenrührei für Lotte sowie ein doppelter Espresso und ein Keks für sie selbst drin.
    Zehn Minuten später bereute Lulu das Frühstück schon. Ein Müllwagen parkte ihren uralten Golf ein. Als die Müllmänner endlich abgerückt waren, verabredeten sich alle Ampeln der Stadt, auf Rot zu schalten, sobald Lulu angerast kam. Und als sie endlich vor Lottes Schule hielt, warder Tank leer. Nachdem sie die letzten Tropfen aus dem Reservekanister hineingeschüttet hatte, zierte ihre Anglerweste ein dicker Benzinfleck. Das waren Tage, die man am besten aus dem Kalender strich.
    Mit quietschenden Reifen parkte sie eine halbe Stunde später vor dem Fotostudio. Sie war verschwitzt, ihre Frisur hatte sich zu einem feuchten Gekringel aufgelöst, und sie roch nach Benzin. Außer Atem riss sie die Tür zum Studio auf.
    Heute war der Tag der Scheuermilch. Es war ein funkelnagelneues Produkt mit dem verheißungsvollen Namen »Fit & Ex«. Eine heiße Kampagne sollte es werden – so stand es im Briefing: gut gelaunt, frisch, sexy. Als hätten alle Frauen nur auf diese Scheuermilch gewartet, um darin zu baden.
    Lulu schaute sich im Studio um. Es war ein weitläufiger, weißgestrichener Raum, den ein Gewirr von Lampen und Kabeln durchzog. Ein überirdisch hübsches Model wartete bereits in einer blitzblanken Küchenkulisse. Wie eine typische Hausfrau sah das Mädchen nicht gerade aus. Sie war höchstens siebzehn und trug ein Minikleid von Gucci. Aber so war das eben in der Werbung: tarnen und täuschen, was das Zeug hielt. Im richtigen Leben ging das leider nur auf Flirtportalen.
    Missmutig sah Lulu an sich herab. Ihre Jeans stammte aus einem Second-Hand-Shop, die Anglerweste hatte sie vom Flohmarkt. Und ihre betagten schwarzen Sneakers waren nur deshalb noch schwarz, weil sie die Dinger regelmäßigmit einem dicken schwarzen Filzstift auffrischte. So sahen Frauen aus, die sich mit Scheuermilch abgeben mussten. Aber wen interessierte das schon?
    Lulu holte ihre Kamera aus dem Rucksack und hängte sie sich um den Hals. Der Countdown für den großen Abend mit Mike lief währenddessen unerbittlich weiter. Warum hatte sie nicht längst ihre Low-Carb-Diät angefangen? Warum war sie seit Wochen nicht beim Friseur gewesen? Über den abgeblätterten Nagellack auf ihrem linken großen Zeh wollte sie lieber erst gar nicht nachdenken.
    Mike musste vollkommen verrückt sein, ausgerechnet sie zum Essen einzuladen. Sie war eine graue Maus. Oder gefiel ihm gerade das? Er war ein Bild von einem Mann und konnte jede haben. Vielleicht brauchte er einfach mal Abwechslung. Etwas Naturbelassenes, Echtes, keine hochgezüchtete Superschönheit. Ja, so musste es
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