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Den lass ich gleich an

Den lass ich gleich an

Titel: Den lass ich gleich an
Autoren: E Berg
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sie. Mutter mag keine Unordnung. Aber immerhin ist es eine gemütliche Unordnung, beruhigte sie sich.
    Lulus Mutter war eine Perfektionistin. Mütterliche Kompetenz hatte sie mit Löffeln gefressen, was so viel hieß, dass sie einfach alles besser wusste. Obwohl Lulu fast vierzig war, verging kein Treffen ohne Vorhaltungen zu Themen wie Kindererziehung, Kochrezepten oder dem richtigen Umgang mit Männern. In allem war ihre Mutter Expertin. Im Winter konnte es passieren, dass sie Lulu anrief und fragte, ob sie auch schon ihren dicken Wollmantel aus dem Schrank geholt hatte. Sie nannte es Mutterliebe, Lulu nannte es Kontrollzwang.
    Schon hörte man eilige Schritte auf der Treppe.
    Lulu hatte die Tür kaum geöffnet, als sie schon ein lachsfarbenes Seidentuch umwehte. Eine Wolke Parfum nahm ihr den letzten Atem. Für eine Frau Anfang sechzig war Gill eine höchst dynamische Erscheinung. Etwas zu dynamisch für Lulus Geschmack. Eine gütige, pummelige Oma mit grauem Knoten und Brille wäre ihr manchmal lieber gewesen. Doch ihre Mutter war gertenschlank, frisch blondiert und eindeutig hyperaktiv.
    Noch bevor Lulu ein Wort sagen konnte, legte Gill auch schon los. »Kind, muss das gerade heute sein? Du weißt, ich liebe Lotte über alles, aber ich spiele ungern den Last-Minute-Babysitter. Gerade komme ich vom Seidenmalkurs, und heute Abend wäre mein Literaturzirkel dran gewesen.« Missgelaunt wickelte sie sich aus ihrem Tuch.
    »Danke, Mutter, dass in deinem Terminkalender noch ein winziges Plätzchen frei war«, erwiderte Lulu.
    Gill hatte den ironischen Unterton nicht überhört. »Also, bitte. Ich habe mein eigenes Leben. Bis dein Vater starb, habe ich mich aufgeopfert. Nun bin ich mal an der Reihe.«
    Über mangelnde Abwechslung konnte sich Gill in der Tat nicht beklagen. Nachdem ihr Mann ohne jede Vorwarnung einem Herzinfarkt erlegen war, hatte sie beschlossen, alles mitzunehmen, was das Leben einer unternehmungslustigen älteren Dame zu bieten hatte. Neben Seidenmalkursen und Literaturzirkeln gönnte sie sich Kräuterworkshops, Brotbackwochenenden, Kundalini-Yoga und hin und wieder eine Bildungsreise. Ihr Leben war durchgeplant wie das eines Topmanagers. Für Lotte blieb wenig Zeit. Viel zu wenig, fand Lulu.
    Sie lachte bitter. »Schon klar. Du kannst den ganzen Tag Seide bemalen und schlaue Bücher lesen. Ich kann froh sein, wenn ich überhaupt mal fünf Minuten für mich habe.«
    Eigentlich wollte Lulu gerade heute keinen Streit anfangen. Aber es ging ihr nun mal gewaltig auf die Nerven, wenn ihre Mutter das zur Schau stellte, was sie ihren »gesunden Egoismus« nannte. Gesund war was anderes, fand Lulu.
    »Vergiss nicht: Es war deine Entscheidung, Lottes Vater gehen zu lassen«, sagte Gill spitz. »Jetzt bist du eben eine alleinerziehende Mutter. Weil du es so wolltest.«
    Das war eine ziemlich herzlose Bemerkung, denn Lulu war damals vor vollendete Tatsachen gestellt worden: entweder den Erzeuger von Lotte mit anderen Frauen teilen – oder allein leben. Bernd war notorisch untreu. Ein Vorstadtcasanova, der auf nichts verzichten wollte, schon gar nicht auf seine erotischen Eskapaden. Nichts für Lulu.
    Sie sah auf die Uhr. Halb acht. Falls sie sich auf dieses Scharmützel einließ, war Mike längst beim Dessert angelangt, bis sie die Olive erreichte. Oder mit der Kellnerin durchgebrannt. Also beließ sie es bei einem Rückzugsgefecht.
    »Bernd hatte Testosteron für mehr Affären, als das Jahr Wochen hat, das weißt du so gut wie ich. Egal, ich muss los.«
    Gill schwieg verstimmt. Kritisch nahm sie Lulu in Augenschein, vom korallenroten Mund bis zu den schwindelerregenden Lackpumps.
    »Sag mal, ist das wirklich ein beruflicher Termin?«, fragte sie. »Nach deinem Lippenstift zu schließen, sieht es eher so aus, als ob du verzweifelt auf Männerfang gehst.«
    »Mutter!«, zischte Lulu.
    »Mama hat ein Date!«, kam es fröhlich von der Couch.
    Lotte hatte wie immer alles mit angehört, auch wenn sie angeblich in die neuesten Abenteuer des einzigen sprechenden Elefanten der Welt vertieft war. »Weißt du was,Oma? Ich kriege bald einen neuen Papa, dann musst du uns nicht mehr besuchen!«
    Gill erstarrte. Selbstverständlich liebte sie Lotte über alles. Leider konnte sie diese wunderbaren Gefühle nie richtig zeigen.
    »Liebes, nenn mich bitte nicht Oma. So alt bin ich schließlich auch nicht. Außerdem finde ich es ziemlich vorlaut, dass …«
    Jetzt fehlte nur noch, dass Gill eine Standpauke über Rabenmütter
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