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Demokratie! - wofür wir kämpfen

Demokratie! - wofür wir kämpfen

Titel: Demokratie! - wofür wir kämpfen
Autoren: Campus
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Rückkehr der Schuldknechtschaft. In früheren Zeiten mussten sich Auswanderer und Indigene auf dem amerikanischen Doppelkontinent und in Australien aus ihrer Schuld freikaufen, doch die Schulden wuchsen oft immer weiter und sie waren zu lebenslanger Sklaverei verdammt. Die Verschuldeten sind von unsichtbaren Ketten gefesselt, und wenn sie sich befreien wollen, müssen sie diese erkennen und zerschlagen.
Die Vernetzten
    Früher schien politisches Handeln oft erschwert zu werden, weil die Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Informationen hatten und ihre Meinungen nicht verbreiten konnten. Auch heute versuchen repressive Regierungen, den Zugang zum Internet einzuschränken, Blogs und Facebook-Seiten zu sperren, Journalistenmundtot zu machen und den Zugang zu Information auf jede erdenkliche Art zu behindern. Der Kampf gegen diese Form der Unterdrückung ist natürlich wichtig, und wir haben immer wieder erlebt, wie diese Barrieren schließlich niedergerissen werden und sich die Medien nicht zum Schweigen bringen lassen.
    Uns geht es jedoch hier um das entgegengesetzte Phänomen: um die Vernetzten, die unter einem Zuviel an Information, Kommunikation und Meinungsäußerung ersticken. »Die Schwierigkeit ist heute nicht mehr, dass wir unsere Meinung nicht frei äußern können«, erklärt Gilles Deleuze, »sondern, Freiräume der Einsamkeit und des Schweigens zu schaffen, in denen wir etwas zu sagen finden. Repressive Kräfte hindern uns nicht mehr an der Meinungsäußerung, im Gegenteil, sie zwingen uns sogar dazu. Welche Befreiung ist es, einmal nichts sagen zu müssen und schweigen zu können, denn nur dann haben wir die Möglichkeit, etwas zunehmend Seltenes zu schaffen: Etwas, das es tatsächlich wert ist, gesagt zu werden.«
    In diesem Fall ist Zuviel nicht das Gegenteil von Zuwenig, denn es handelt sich nicht um ein quantitatives Problem. Deleuze erinnert uns an das politische Paradox, das schon Étienne de La Boétie und Baruch Spinoza beschrieben haben: Manchmal sehnen sich Menschen nach ihrer Knechtschaft, als handele es sich um ihre Erlösung. Könnte es sein, dass wir mit unserer freien Meinungsäußerung und Kommunikation, unserem ununterbrochenen Bloggen, Twittern und Surfen die repressiven Kräfte eher noch unterstützen, statt uns ihnen zu widersetzen? Wie Deleuze sagt, benötigen wir zum Denken oft das Schweigen. Im Grunde ist das gar kein Widerspruch: Deleuze geht es nicht um das Schweigen an sich, sondern darum, etwas zu sagen zu haben. Politisches Handeln und Befreiung sind also keine Fragen derQuantität von Information, Meinungsäußerung und Kommunikation, sondern ihrer Qualität.
    Die Bedeutung von Information und Kommunikation in Unterdrückungsapparaten (oder emanzipatorischen Projekten) wird noch durch die Tatsache unterstrichen, dass Arbeit und Wirtschaft selbst immer stärker vernetzt sind. In den verschiedensten Formen der Produktion haben Medien und Kommunikationstechnologien eine immer zentralere Rolle eingenommen und sind entscheidend für die Kooperation, wie sie die biopolitische Produktion verlangt. Gerade in den reichen Ländern scheinen Kommunikation und soziale Medien viele Menschen einerseits von ihren Arbeiten zu befreien und sie andererseits an sie zu fesseln. Mit Smartphone und WLAN können wir überall arbeiten, aber das bedeutet natürlich, dass wir inzwischen auf Schritt und Tritt arbeiten. Die Vernetzung ist mit daran schuld, wenn heute die Grenzen zwischen Arbeit und Leben zunehmend verschwinden.
    Diese Arbeitenden sind weniger entfremdet als vielmehr vernetzt. Während das Bewusstsein der entfremdeten Arbeiter gespalten ist, wird das Bewusstsein der vernetzten Arbeiter vom Netz verschluckt. Das Bewusstsein der Vernetzten ist also nicht gespalten, sondern zerbrochen und zerstreut. Die Medien verdammen uns nicht mehr zu Passivität, im Gegenteil, sie fordern uns fortwährend auf, teilzunehmen, Wünsche und Meinungen zu äußern und unser Leben zu erzählen. Die Medien sind ausgesprochen sensibel für unsere Vorlieben und Abneigungen, und im Gegenzug schenken wir ihnen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Vernetzten sind daher paradoxerweise weder aktiv noch passiv, ihre Aufmerksamkeit wird nur konstant gefesselt.
    Wie können wir die repressiven Aspekte der Medien von ihrem emanzipatorischen Potenzial trennen? Lassen sich qualitative Unterschiede zwischen verschiedenen Formen der Information und Kommunikation erkennen? Ein Blick auf die Rolle der Information und
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